Sozialistengesetz
nach zwei Attentaten auf Kaiser Wilhelm I., die von Sozialdemokraten
nicht zu verantworten waren, am 21. 10. 1878 im Dt. Reich erlassenes, mehrmals
verlängertes, 1890 abgelaufenes Gesetz »wider die gemeingefährlichen
Bestrebungen der Sozialdemokratie«. Das Sozialistengesetz war ein Versuch der
Reichsregierung unter Bismarck, die Sozialdemokratie (damalige
Parteibezeichnung: Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands) als polit. Kraft
auszuschalten. Es gab den Behörden die Möglichkeit, sozialist. Vereine, Versammlungen
u. Druckschriften polizeilich zu verbieten, den »kleinen Belagerungszustand« zu
verhängen, Sozialdemokraten die Ausübung bestimmter Gewerbe (z.B. den Betrieb
von Gastwirtschaften) zu untersagen u. sie aus ihrem Wohnort auszuweisen,
sofern Umsturzbestrebungen nachgewiesen wurden. Als Nachweis genügte praktisch
schon die Vermutung solcher Bestrebungen.
Aufgrund des Gesetzes wurden etwa 900 Sozialdemokraten nebst
Angehörigen aus ihren Heimatorten ausgewiesen, rd. 1000 Jahre Freiheitsstrafen
verhängt u. über 1300 period. u. nichtperiod. Druckschriften verboten. Trotz
dieser Maßnahmen u. zahlreicher anderer Schikanen verfehlte das
Sozialistengesetz seine Wirkung. Die Parteiorganisation blieb im Untergrund
tätig, unterstützt durch eine vor allem von der Schweiz aus betriebene
publizist. Tätigkeit; so wurde die Wochenzeitung »Der Sozialdemokrat« zuletzt
in einer Auflage von über 10 000 Exemplaren illegal in Dtschld.
vertrieben. Entscheidend war, daß Sozialdemokraten weiterhin in den Reichstag
gewählt werden konnten. 1878 erhielt die Partei 415 000 Stimmen u. 9
Mandate, 1890 dagegen 1,4 Mill. Stimmen u. 35 Mandate. Sie entwickelte sich
während der Geltungsdauer des Gesetzes zur Massenpartei. 1890 verweigerte der
Reichstag eine weitere Verlängerung des Sozialistengesetzes. Das Gesetz hat das
Verhältnis zwischen der organisierten Arbeiterbewegung u. dem Staat nachhaltig
vergiftet.