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Weltmann und Hausfrau
Einleitung
Mit dem Eintritt in das Industriezeitalter im 19. Jh. wandelten sich die Lebensbedingungen der Menschen grundlegend. Wachsende Bevölkerungszahlen führten ebenso wie der Übergang von der städtischen zur bürgerlichen Gesellschaft und der Strukturwandel von der Agrar- zur Industriewirtschaft zu neuen Lebensmustern für alle Bevölkerungsschichten. Ein prägendes Moment für die Gestaltung und Bewältigung des Wandels war die Verstärkung der Geschlechterdifferenz, die Fixierung eines ,,typisch' männlichen und eines ,,typisch' weiblichen Geschlechtscharakters.
Die Verstärkung der Geschlechterdifferenz nach Eintritt in das Industriezeitalter
Das zunächst rasche Bevölkerungswachstum war mit einer Bevölkerungsverdichtung verbunden, die durch das natürliche Wachstum wie durch Bevölkerungswanderungen ausgelöst wurden. Dies führte zur Auflösung traditioneller Gemeinschaftsstrukturen und zur Entstehung neuer Ansiedlungen. Um an neuen Orten bestehen zu können, suchten die Menschen nach einer neuen Identität. Die Bestimmung der individuellen Position über das Geschlecht bot dafür einen Weg. Das war eine der Ursachen für die Aufwertung des natürlichen Geschlechterunterschieds.
Die Ideologie für die Aufwertung des natürlichen Geschlechterunterschieds war in den philosophischen Debatten zur Begründung der bürgerlichen Familienlehre entwickelt worden, die aus der biologischen Differenz unterschiedliche Rollenmuster ableiteten und den Mann in der Welt und die Frau im Binnenraum des Hauses verorteten.
Während die Ständegesellschaft aber die verschiedenen Rollenmodelle noch als soziale Funktionsmuster auffaßte, suchten die Philosophen der deutschen Klassik die Gründe für die Verschiedenheit der Geschlechterrollen innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft in der Biologie. Von Wilhelm von Humboldts These, daß menschliche Intellektualität geschlechtsspezifisch verschieden ist bis zu Johann Gottlieb Fichtes Auffassung, daß die Frau in der Ehe durch die natürliche Bestimmung zur Liebe alle Selbständigkeit als Bürgerin verliert.
Die Zuweisung geschlechtsspezifischer Handlungsräume verallgemeinerte die Lebenspraxis des Bildungsbürgertums, die nunmehr zur kulturellen Norm erhoben wurde. Sie funktionierte als Strukturmuster für alle Teile der Gesellschaft und realisierte sich für alle Schichten sowohl in verschiedenen Bildungsprojekten für Mädchen und Jungen als auch im Konzept vom männlichen Familienernährer, das von der im 19. Jh. entstehenden Nationalökonomie seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts propagiert wurde.
Es gab freilich auch zahlreiche Gegenstimmen, wie zum Beispiel Olympe Gouges, die von den französischen Revolutionären die Menschen- und Bürgerrechte auch für die Frauen einforderte.
Dennoch erwies sich das auf Verstärkung und Hierarchisierung der Geschlechterdifferenz hinauslaufende bürgerliche Familienideal als wirkungsmächtiger. Das läßt sich an der Entwicklung bürgerlicher Rechtskodifikationen ebenso nachweisen wie am Wandel in der Arbeitswelt im Gefolge der Industrialisierung.
Im Gefolge der Liberalisierung der Arbeit durch die bürgerlichen Reformen (Agrarreform, Gewerbereform) wurde Lohnarbeit zur Hauptform unselbständiger Arbeit. Es entstand der Arbeitsmarkt, auf dem Männer und Frauen als individuelle Anbieter ihrer Arbeitskraft um Erwerbsmöglichkeiten konkurrierten. Die Unternehmer verwiesen auf die natürliche Geschlechterdifferenz und behaupteten die besondere Eignung von Frauen für spezifische Arbeiten gegen die Forderungen nach einem Verbot der Frauenarbeit.
Mit der zunehmenden Vermarktung von Arbeit entstand ein neues Prinzip für ihre Bewertung mit der Unterscheidung von produktiver und unproduktiver Arbeit. Seit Adam Smith galt als produktive Arbeit nur noch die über den Markt realisierte Arbeit, während alle im Rahmen des Haushaltes realisierte Arbeit als unproduktiv galt, weil sie ungeachtet ihrer materiellen Notwendigkeit für das Überleben von Frauen und Männern nicht entlohnt wurde.
Grundlegend für den Wandel in der Arbeitswelt wurde die Veränderung der Wirtschaftsstruktur, weil nun ein wachsender Teil der Bevölkerung nicht mehr in der Landwirtschaft, sondern in Industrie und Bergbau, im Handel, Verkehrswesen, Bank- und Versicherungsgewerbe, Gaststätten- und Herbergswesen sowie im persönlichen Dienstleistungsbereich arbeitete.
Im Zuge der Industrialisierung und der damit verknüpften Zentralisierung der Arbeit für immer mehr Menschen in Fabriken, Kaufhäusern, Banken usw. kam es zur Trennung von individualisierter Arbeitsweise und familiärer Lebensweise, und die in Arbeitsorganisation übertragene Geschlechterordnung der bürgerlichen Gesellschaft führte über die Plazierung von Frauen und Männern in getrennten Bereichen zu einer Verstärkung der Geschlechterdifferenz.
Quellen: Praxis Geschichte 1/95, Brockhaus Lexikon, Encarta 98
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