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Referat TACITUS: Die Darstellung der vita publica der germanischen Volksstämme

latein referate

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TACITUS : GERMANIA


Die Darstellung der vita publica der

germanischen Volksstämme





Inhaltsverzeichnis

Einführung

Der Forschungsstand zur Germania

Der Aufbau der Germania

Waffen und Waffenkampf (Kapitel 6)

Führerschaft, Könige und Kampfweise (Kapitel 7)

Die germanischen Frauen (Kapitel 8)

Die Religion (Kapitel 9/10)

Die Volksversammlung und das Gerichtswesen (Kapitel 11/12)

Die Wehrhaftmachung und die Gefolgschaft (Kapitel 13-15)

Zusammenfassung

Bibliographie

1.0 Einführung

Schon seit Jahrzehnten ist das Werk De Origine et situ Germanorum immer wieder ein Thema, mit dem sich die Forschung befaßt hat. Geschrieben wurde es in der ersten Hälfte des Jahres 98 n. Chr. von Publius Cornelius Tacitus, der mit dieser Abhandlung über das Volk der Germanen verschiedene Dinge zu erreichen versuchte. Die Germania ist ein ethnographisches Werk, welches mit dem Anspruch geschrieben wurde, sowohl die Gemeinsamkeiten, als auch die Unterschiede zwischen Römern und Germanen aufzuzeigen. Es ist überraschend, daß Tacitus versucht, durch die Beschreibung der Wertvorstellung eines angeblich barbarischen Volkes der fortschreitenden Dekadenz des römischen Volkes entgegenzuwirken.

Aber auch wenn eben diese moralischen Kommentare im Text einen erheblichen Stellenwert einnehmen, so sind sie dennoch nicht die Hauptaufgabe.[1]

Neben dem erwähnten moralischen Kommentar ist aber eine zweite, wenn auch nicht so deutliche, Komponente im Text zu erkennen; es handelt sich hierbei um eine Art politischen Kommentar. Auch hier ist es abermals wichtig, sich die politische Situation Roms vor Augen zu halten. Der Hauptgrund für Tacitus, die Germania zu schreiben, war, den Bürgern Roms die andauernde Bedrohung des römischen Friedens durch die Germanen aufzuzeigen. Die Tatsache, daß, als Nervas Tod bekanntgegeben wurde, sich Trajan mit der römischen Armee am Rhein befand und eben dieser keine Anstalten machte, nach Rom zurückzukehren, könnte möglicherweise zwei Gründe gehabt haben. Entweder stand Trajan kurz vor der Durchführung eines Feldzuges gegen die Germanen, oder aber die Situation war zu gefährlich, als daß er hätte nach Rom reisen können.[2]

Diese zwei Blickrichtungen sind nicht weiter verwunderlich, gehörten sie doch zur damaligen Zeit zur natürlichen Sichtweise eines jeden Römers. Somit war es also auch für Tacitus nicht weiter verwunderlich, Kommentare hinsichtlich moralischer und politischer Belange in seinem Werk zu verankern.

Neben den oben genannten Punkten ist die Erwähnung eines weiteren Punktes von großer Bedeutung. Literarisch betrachtet ist die Germania eine ethnographische Einzelschrift. Diese ist zudem die erste zusammenhängende Beschreibung eines fremden Volkes.[3] Ethnographische Darstellungen gab es zwar auch zu Lebzeiten des Tacitus, aber sie waren keine selbständige literarische Gattung. Dessenungeachtet folgte sie einer eigenen Tradition und Struktur, die sich durch römische und griechische Schriften herausgebildet hatte. Es gab, neben den zwei Hauptthemen Ort und Menschen, immer auch einige Themen, die üblicherweise behandelt wurden. Dazu zählten Geographie, Klima, Bodenschätze, Landwirtschaft, Erscheinungsbild und Herkunft der Einwohner und ihre soziale Organisation (sowohl zu Kriegs- als auch in Friedenszeiten). Diese "Vorgaben" bestimmen in den ersten Kapiteln (1-27) zu einem großen Teil die Vorgehensweise des Autors. Im zweiten Teil (27-46), der sich mit den einzelnen germanischen Stämmen befaßt, folgt Tacitus dann einer eigenen Linie.

2.0 Der Forschungsstand zur Germania

In der Forschung hat es immer wieder verschiedene Ansätze gegeben, wie die Germania des Tacitus zu gliedern sei. Die Analyse wird durch die Technik, die Tacitus verwendete, zusätzlich erschwert. Diese Technik dient nicht nur dazu, eine Anzahl erzählenswerter Tatsachen miteinander zu verknüpfen, sondern ein kunstvolles Gesamtbild zu erzeugen. Bei der ersten Betrachtung allerdings verschleiert diese Methode die komplexe Anordnung der zusammengehörigen Teile.

Auf den ersten Blick läßt sich der Text in zwei große Hälften aufteilen. Die erste Hälfte umfaßt die Kapitel 1 bis 27, die neben der Landesbeschreibung (1-5) auch die vita publica (6-15) und die vita privata (16-27) enthält. Die zweite Hälfte umfaßt demnach die Kapitel 28 bis 46, die einen Aufriß der verschiedenen germanischen Volksstämme beinhaltet.

Trüdinger[5] folgt dieser Unterteilung und stellt den überleitenden Charakter von Kapitel 8 klar heraus, indem er betont, daß das Kapitel 8.2 abschließende deas in Kapitel 9.1 durch das einleitende deorum wieder aufgenommen wird.

Gleitende Kapitelübergänge wurden auch von Norden[6] erkannt und herausgestellt. Für ihn waren solche Übergänge bei den Kapitel 4/5, 8/9, 17/18, 20/21, 21/22 und 24/25 deutlich erkennbar.

Ein sehr außergewöhnlicher Ansatzpunkt läßt sich bei Wolff[7] erkennen. Seiner Auffassung nach war der Kern der vita publica das Kapitel 9, das sich mit der Religion der Germanen befaßt. Um dieses Zentrum herum befinden sich zwei etwa gleich große Abschnitte mit jeweils 3 Kapiteln: die res militaris (6-8) und die res civilis (10-12) mit der Beschreibung der Auspizien, der Politik und des Rechts. Daran schließt die Kapiteltriade 13 bis15 an, welche inhaltlich das Gefolgswesen der Germanen erläutert.

Für Büchner[8] ist die Germania eines der schönsten Zeugnisse des architektonischen Sinnes der Römer und ihres Strebens nach harmonischer Ausgewogenheit der Massen. Er trennt die einleitenden Kapitel 1 bis 4 vom Haupttext ab und teilt diesen dann nach dem oben erwähnten Muster in zwei Teile. Allerdings bewertet Büchner die Kernaussage in den beiden ersten Teilen der ersten Werkhälfte anders. Für ihn gipfeln die Schilderungen in dem der virtus geweihten Lebens: der Teil, der das öffentliche Leben behandelt, in der Schilderung des germanischen Mannes im Gefolgswesen (13-14), der Teil, der vom Privatleben spricht, in der Schilderung des Lebens der Frau in der Ehe (18-19).

Giancotti[11] zufolge steht die Germania, ebenso wie der Agricola in der Tradition von Sallusts Monographien. Unter diesem Gesichtspunkt ist dann demzufolge auch der Titel De origine et situ Germanorum erklärbar, denn auch in anderen ethnographischen Schriften von Sallust bis Cassiodor tauchen eben diese umfangreichen Titel auf, wie zum Beispiel im Codex Leidensis Perizonianus: De origine situ moribus ac populis Germanorum liber. Als Quellen dürften Tacitus neben Sallust, Livius und Cäsar ebenfalls auch die zwei Schriften Bella Germania und Naturalis Historia von Plinius, dem Alteren gedient haben.

Giancotti unterteilt die erste Hälfte in zwei Teile, nämlich in Kapitel 1 bis 5 und 6 bis 27, wobei die ersten Kapitel keine Einleitung, sondern vollwertige Kapitel sind, die Auskunft über Ursprung, Sitz und Grenzen des Landes geben. Die zweite Hälfte steht beinah im gesamten Ausmaß in chiastischer Anordnung. Innerhalb des zweiten Abschnitts werden die Kapitelpaare 9/10 und 11/12 von zwei Kapiteltriaden 6 bis 8 und 13 bis 15 eingerahmt. Dabei sind die Einzelkapitel jeweils durch Wortparallelen miteinander verbunden: 6,1 telorum 13,1 armati; 7,1 ex virtute 14,1 virtute und virtutem; 8,1 feminis 15,1 feminis.[14] Auch durch die Thematik des Inhalts läßt sich diese Struktur nachweisen. Sowohl die Kapitel 6 bis 8, als auch die Kapitel 13 bis 15 befassen sich mit dem Kriegswesen der Germanen. Diese sechs Kapitel bilden den Rahmen, in welchem dann Religion und Volksversammlung erläutert werden. Die Religion nimmt allerdings eine besondere Stellung ein. Sie bietet zu der Thematik des Kriegswesens und der Politik ein Antiklimax.

3.0 Der Aufbau der Germania

3.1 Waffen und Waffenkampf (Kapitel 6)

Als erste Gruppe des innerhalb des Kapitel 6 bis 15 umfassenden Abschnitts kann man die Kapitel 6 bis 8 zusammenfassen, da sie sich inhaltlich alle mit dem Militärwesen beschäftigen.

Die Überleitung von der Beschreibung der Bodenschätze zur Beschreibung der Bewaffnung und des Militärwesens ist besonders interessant, da Tacitus an dieser Stelle von der einleitenden Darstellung des Landes dazu übergeht, tiefer in die Materie einzudringen. Scheinbar systematisch führt der Weg von dem Begriff der Spärlichkeit argentum et aurum propitiine an irati di negaverint dubito (5.2), wie Büchner meint, assoziativ zum Initialstichwort dieses Kapitels ne ferrum quidem superest. [16]

Mit der Schilderung der Bewaffnung und dem Aufbau der Verbände und Waffengattungen beginnt Tacitus den Bericht der vita publica. Wollf[17] sagt dazu, daß die Verbindung zwischen Boden und Waffen doch keineswegs so äußerlich ist, wie es zunächst scheint. Eine verwandte Betrachtungsweise herrscht in beiden Teilen. Wie dort eine gewisse Wohlhabenheit und Fruchtbarkeit zugegeben wurde, aber der Mangel an höherer Kultur, die simplicitas gleich davon abgesetzt wurde, so wird hier, formal umgekehrt, aber im gleichen Sinne von der Primitivität der Kriegswerkzeuge die doch dem Zweck genügende, praktisch erfolgreiche Handhabung abgehoben. Die Hauptwaffe eines germanischen Kriegers war die framea - eine wahrscheinlich römische Bezeichnung. Im Gegensatz zu den langen, breiten, mit hohem Mittelgrat versehenen Lanzenklingen der Latenezeit, in der das Lanzenblatt bisweilen noch reich verziert oder an den Rändern mit Ausschnitten versehen ist, sind die meist unprofilierten frühkaiserzeitlichen Lanzenspitzen im Durchschnitt nur 20 cm lang, so daß sie - im Gegensatz zum römischen Pilum - sowohl als Stoß- wie auch als Wurfwaffe gebraucht werden konnte.

Schwerter waren bei den Germanen selten; die wenigen gefundenen Stücke gehörten mit großer Wahrscheinlichkeit meist Führern, und nicht den einfachen Kriegern. In den frührömischen Grabstätten von Ladenburg, Trebur und anderen Orten, ebenso wie in den linksrheinischen Germanengräbern von Andernach oder Weisenau, nehmen die gefundenen Schwerter im Vergleich zur framea nur einen geringen Stellenwert ein.[18] Ein möglicher Grund hierfür könnte die oftmals schwere Panzerung der Römer gewesen sein. Hier war die Effizienz der framea sehr viel höher als die eines Schwertes. Weiterhin trug jeder Soldat einen Schild mit sich, der für ihn von besonderer Bedeutung war. Den Schild zu verlieren gilt bei den Germanen als größte Schmach. Oftmals wurde dieser Verlust mit dem freiwilligen Tod gesühnt. Im Originaltext heißt es: Et eques quidem scuto frameaque contentus est. Allerdings zeigten Grabungen, daß in Reitergräbern, die durch Beigabe von Sporen eindeutig als solche zu erkennen sind, eine Anhäufung von Schwertern.

Das Ende des Absatzes der Waffenverbände über die Reiter und Pferde bereitet den Weg für die Darlegung der Kampftaktik. Am Ende des Kapitels schlägt aber diese Darlegung der Kriegstechnik um, und der Leser wird an die Kriegsmoral herangeführt. Unter anderem besagt diese, daß die Gefallenen selbst nach einer verlorenen Schlacht geborgen werden müssen.
3.2 Führerschaft, Könige und Kampfweise (Kapitel 7)

Tacitus geht nach der Beschreibung der Bewaffnung und der Kampftechnik der Germanen über zu der Schilderung der Heereszucht, und in diesem Zusammenhang äußert er sich auch über das Königtum.

Besonders auffällig ist die starke Überlagerung der Themenkomplexe und ihre strukturelle Verknüpfung miteinander innerhalb der ersten Kapiteltriade. Die Kampfgesinnung, deren Beschreibung mit 6.4 beginnt, zieht sich durch das gesamte Kapitel 7 hindurch, bis in das folgende Kapitel über die Frauen hinein. Die Darstellung der Rolle der Frau erstreckt sich von 7.2 bis zum Ende des 8 Kapitels. Wobei die sakrale Bedeutung der Frau für die germanische Gemeinschaft schon die Thematik der Kapitel 9 und 10 vorbereitet; auch die Erwähnung der Priester in 7.1 hat die gleiche Funktion.

Die Initialstichworte reges und duces mit der sie auszeichnenden nobilitas und virtutes stehen in starken Kontrast zum Ende des vorherigen Kapitels. Dort wurde beschrieben, was demjenigen, der seinen Schild verliert von Seiten der Gemeinschaft droht. Auch sind die Ausführungen über das Führertum und die Adelsschicht eine logische Konsequenz aus dem vorher Gesagten. Nach dem Soldaten folgt nun die Beschreibung der höheren Schicht.

Mit nur wenigen Worten berichtet Tacitus über die Wahl der Könige und der Heerführer. Bei der Königswahl kommt es allerdings auf den Grad der Nobilität an, was auf eine möglichst direkte Abstammung von früheren Königen oder Volkshelden abzielt.[21] Dennoch hebt Tacitus klar den Unterschied zum römischen Imperium hervor. Die Könige besitzen bei den Germanen keine libera potestas, und die duces verfügen über kein Imperium, wie in Rom. Sie zeichnen sich gegenüber den anderen Stammesangehörigen nur durch ihr Vorbild und ihre Tapferkeit aus. Ein Beispiel für einen respektierten Germanenführer ist Arminius, der sich durch seine außerordentlich Tapferkeit in der Schlacht auszeichnete.

Im Text heißt es zwar, daß die Königswürde nicht erblich war, doch sollte man davon ausgehen, daß in der Regel der älteste Sohn des Königs erbberechtigt war. Trotzdem gab es immer eine Wahl, was durch reges sumunt dokumentiert wird.

Ein weiterer Unterschied zu Rom liegt in der Disziplinargewalt des dux. Kann er in Rom über Strafen, wie Tod, Schläge oder Fesselungen entscheiden, so ist bei den Germanen diese Entscheidungsgewalt allein in die Hände der Priester gelegt.[23]

Der Kampf ist für einen Germanen Inhalt seines gesamten Lebens. Aus diesem Glauben heraus kann man sich erklären, warum der Kampf auch eine religiösen Sache ist. Die Waffenverbände der Germanen bestehen nicht aus zufällig zusammengekommenen Soldaten, sondern aus Sippen und Familien, wodurch sie zu besonderer Tapferkeit angespornt werden. Neben diesem familiären Zusammenhalt, der bestimmt auch eine Kontrollfunktion des Einzelnen darstellte, waren aber auch die Frauen sanctissimi testes des Kampfes. Ihr Lob ist für den Germanen nicht nur aus familiären Bindungen außerordentlich wichtig, sondern auch aufgrund der religiösen Verehrung der Frau. Das Wirken der Religion ist somit schon in diesem Kapitel überaus spürbar, auch wenn erst im Kapitelpaar 9/10 davon explizit die Rede ist.

Die Rolle der Frau und die Auswirkungen dieser Stellung auf das gemeinschaftliche Leben ist die Hauptthematik des nächsten Textabschnittes.

3.3 Die germanischen Frauen (Kapitel 8)

Dieser Textabschnitt ist unter einem besonderen Licht zu betrachten, da es sich hier um eine Passage handelt, welche unter normalen Gesichtspunkten keinen eigenen Sinnabschnitt rechtfertigt. Es handelt sich bei diesem Kapitel vielmehr um eine Art Interludium, welches inhaltlich eine Brücke zwischen dem vorausgegangenen Kapitel und dem nachfolgendem Text bilden soll.

Der erste Teil des Textes führt folglich in erster Linie den Gedanken des vorangegangenen Kapitels weiter fort. Zieht man feminarum ululatus hortamina (7.2) mit acies inclinatas a feminis restitutas constantia precum (8.1) zusammen, so kann man an dieser Stelle eindeutig die Verbindung erkennen.

Es ist weiterhin die Rede von der anspornenden Wirkung der Frauen auf die Männer. Wenn Tacitus hier davon berichtet, daß Frauen die Krieger durch das Entblößen der Brust wieder in den Kampf zurücktreiben, so bezieht er sich vermutlich auf die Schlacht von Aquae Sextiae (102 v. Chr.). Der Überlieferung[24] zufolge griffen die Frauen dort aktiv in die Schlacht ein, als die kämpfenden Männer zu fliehen begannen. Da es aber keinerlei weitere Quellen für ein solch aktives Eingreifen gibt, ist es verwunderlich, daß von Tacitus der Plural quasdam acies gebraucht wird.

Der zweite Abschnitt dieses Kapitels bereitet dann schon den Weg für die nächsten zwei Kapitel vor. Tacitus geht nun im Folgenden dazu über, die besondere Stellung der Frau innerhalb des Volksstammes darzulegen. Anhand der Beispiele Veleda und Albruna weist er auf den Glauben der Germanen hin, der besagt, daß den Frauen nicht nur die Sehergabe gegeben ist, sondern auch etwas Heiliges in ihnen ist. Der äußerliche Zusammenhang dieses Abschnittes mit dem vorherigen Kapitel kann hier durch sanctum (8.2) und sanctissimi testes (7.2) hergestellt werden. Ebenso ist aber auch zu beachten, daß die religiöse Thematik der Kapitel 9 und 10 vorbereitet wird.
3.4 Die Religion (Kapitel 9/10)

Die Ehrerbietung der Götter war für die Germanen der wahrscheinlich bedeutendste Punkt ihres Lebens, das auf eine göttliche virtus ausgerichtet war. Timpe[25] sagt, daß die Götterverehrung allerdings ein Teil der menschlichen Natur und des Alltags sei. Aus diesem Grund würde die Religion kompositionell oder inhaltlich auch keinen herausragenden Platz innerhalb des Textes einnehmen. Bedenkt man allerdings die gesamte Komposition des Werkes und ihre inhaltliche Verflechtung, so muß man zu dem Schluß gelangen, daß diese Ansicht nicht haltbar ist. Wie schon oben erwähnt, kann man die Kapitel über die Religion und die Götter als Zentrum der vita publica ansehen.

Der inhaltliche Zusammenhang dieser zwei Kapitel läßt sich nicht von der Hand weisen; ist aber ebenfalls durch sich entsprechende Verknüpfungen im Text nachzuweisen. Die erste Verflechtung läßt sich an den Hainen und Lichtungen erkennen, welche sowohl in 9.2 als lucos ac nemora, als auch dann in 10.2 als nemoribus ac lucis abermals auftauchen. Die zweite Zusammengehörigkeit läßt sich an der semantischen Wortverwandschaft von vident (9.2) und observant (10.2) festmachen.

Nach dem Initialstichwort deorum, das direkt auf das letzte Wort des vorherigen Kapitels deas folgt, das abermals ein Zeichen für die deutliche Überlagerung der Thematik der Kapitel ist, folgt zunächst eine Auflistung der Kultgötter. Die Götter Wodan (Merkur), Donar (Herkules) und Zio (Mars) werden von Tacitus direkt auf die römischen Götter übertragen. Die Gleichstellung der germanischen mit den römischen Göttern beweist hier eine interpretatio Romana. Es ist in der Forschung seit langem die gängige Meinung, daß Übereinstimmungen wie zum Beispiel das äußere Erscheinungsbild Wodans mit dem römischen Bild des Merkur nicht von der Hand zu weisen sind.[26] Die Skala zur Übersetzung der Götternamen und ihrer Funktion reicht bei Tacitus von der fast nahtlosen Identität funktionsgleicher Götter, bis zu unübersetzbaren babarischen Potenzen. Ein Beispiel hierfür ist die Erwähnung des Isisglaubens eines Teils der Sueben. Streng genommen dürfte er erst zu einem späteren Zeitpunkt Erwähnung finden, da spezifische Riten einzelner Volksstämme erst in den Kapiteln 30 bis 45 von Tacitus behandelt werden. Eine mögliche Erklärung für die Hervorhebung an dieser Stelle könnte sein, daß selbst für die damalige Zeit dieser Kult eine Ausnahmeerscheinung gewesen ist. Allerdings erweckt die Isis-Verehrung dadurch, daß sie im Zusammenhang mit den drei Hauptgöttern der Germanen genannt wird den Eindruck, daß sie von besonderer Wichtigkeit ist. Nach der Überleitung durch ceterum (9.2) ist dann die Sprache von den Kultstätten. Die Aussage, daß die Germanen keine Tempel bauen, in welchen eine Götterverehrung stattfindet, ist kein Zeichen für eine speziell germanische Eigenart. Ein solches Verhalten läßt sich häufig auch bei anderen Naturvölkern beobachten, wie etwa bei den Kelten oder den Vikingern.

Kapitel 10 schließt an den Inhalt des vorausgegangenen Kapitels an. Diese Behauptung kann man durch die fortlaufende Nennung der sacerdos, der precatus deos und der sacerdotes nachweisen. Es folgt nun eine Darstellung der verschiedenen Vorhersageverfahren, welcher sich die Germanen bedienen. Tacitus betont hierbei auspicia sotesque ut qui maxime observant (10.1). Im Verlauf der Darstellung ist eindeutig eine Steigerung oder auch einer Hierarchie der Orakel zu verzeichnen. Auf der untersten Stufe der Methoden steht das Runen- oder Zweigorakel. Es folgen in aufsteigender Reihenfolge Vorzeichendeutung auf der Basis von Vogelflug und Pferdebeobachtung (10.2). Zur Vorhersage eines Krieges dient die Methode des Zweikampfes mit einem Angehörigen des gegnerischen Stammes oder Volkes (10.3). Die Erwähnung der Orakel in diesem Kapitel leitet abermals indirekt auf die Thematik des folgenden Kapitels hin. Gilt es doch durch die Orakel die ungewisse Zukunft zu ergründen, so ist die Volksversammlung oftmals die aus dem Ergebnis des Orakels resultierende Handlung.

3.5 Die Volksversammlung und das Gerichtswesen (Kapitel 11/12)

Der zentrale Hauptgedanke, den Tacitus in dem nun folgenden Kapitelpaar anspricht, ist das Hauptinstrument der politischen Verfassung der Germanen, die Volksversammlung. Besonders auffällig ist, daß an dieser Stelle ein erwartetes Initalstichwort wie etwa concilium völlig fehlt. An dessen Stelle treten eine Reihe von Umschreibungen wie consultant, coeunt, constituunt, condicunt, conveniunt, coeuntium und considunt.[28] Hervorstechend ist ebenfalls die Tatsache, daß das Kapitel stark durch Antithesen des Befehlens und Gehorchens geprägt ist. Diese besagen, daß die bei den Volksversammlungen Anwesenden nicht nec ut iussi, sondern ut turbae placuit erscheinen.

Auch hier ist die Überleitung vom letzten Kapitel leicht nachzuvollziehen, da die oben angesprochenen Orakelbefragungen in der Regel während einer Volksversammlung stattfinden. Kapitel 11 informiert den Leser neben Dauer und Terminen (11.1) der Volksversammlung auch über ihren Ablauf (11.2). Wenn keine dringenden Entscheidungen getroffen werden mußten, so versammelten sich die principes mit ihren Begleitern zwei bis dreimal pro Jahr. Entschlüsse, die keinerlei Aufschub zuließen, wurden in einem unverzüglich einberufenem Ding beraten. Bei der Terminfestlegung für eine Volksversammlung waren aufgrund der weit verbreiteten Art der Zeitrechnung Neu- und Vollmond von besonderer Bedeutung.

Die Hauptaufgabe der Versammlung ist es über die künftigen politischen Handlungen des Volkes zu beraten. Neben dieser Aufgabe dient sie andererseits noch als oberste Gerichtsinstanz. Bei einer Versammlung wurde sowohl über die minoribus rebus als auch die maiores rebus beraten. Inwieweit minoribus und maiores voneinander abgegrenzt waren, kann nicht genau definiert werden. Zum Beispiel sagt Much[29], daß zum einen auch wichtige Entscheidungen allein von den principes beschlossen wurden und, daß andererseits im Vorfeld nicht immer alle Beratungspunkte festgelegt waren. Ein weiterer Streitpunkt liegt in dem Wort princeps. Der Römer verband mit diesem Wort die führenden Männer des Staates und des öffentlichen Lebens. Der Wortlaut hier im Text läßt einen ähnlichen Schluß für die Germanen zu, folglich gehörten zu diesem Personenkreis dann neben dem König auch Edelmänner und Kriegshelden. Diese Definition steht dann aber im Gegensatz zu dem Begriff des princeps in Kapitel 7 der Germania.

Bei der Versammlung hatte jeder Mann das Recht, zu den Übrigen zu sprechen. Auch wenn den Priestern eine gewisse Autorität gegeben ist (silentium sacerdotes imperatur), so ist doch die Durchsetzungskraft des Einzelnen weit aus wichtiger (suadendi magis quam iubendi potestate).

Es war nicht so sehr die hierarchische Stellung als vielmehr die Überzeugungskraft des Einzelnen, die über die Resonanz auf seinen Vorschlag entschied. Diese rangierte zwischen ablehnendem Murren und Beifallsgebärden mit dem Schwert oder der framea, die laut aneinander geschlagen wurden.

Zusammenfassend kann man sagen, daß der Aufbau des Kapitels darauf angelegt ist, den Leser den Gang eines germanischen concilium miterleben zu lassen: von Vorbereitung, Einberufung, allmählichem Kommen der Teilnehmer, Platznehmen, Schweigegebot, Reden bis zum Schlußbeifall. In diesen zeitlichen Hergang sind die einzelnen Institutionen und Sitten, ihre innere Begründung und Wertung eingebaut, und zugleich spüren wir einen dauernden, schwebenden Bezug auf die römischen Institutionen.[30]

Nachdem im vorangegangenen Kapitel die Volksversammlungen erläutert wurden, kommt Tacitus nun auf ein weiteres Recht eines jeden Germanen zu sprechen. Neben der schon erwähnten Redefreiheit, die ein jeder besitzt und von der am Ende des letzten Kapitels die Rede war, kann auf den Versammlungen auch Gebrauch vom Klagerecht gemacht werden. In diesem Punkt unterschied sich die germanische Volksversammlung am auffälligsten von der der Römer. Bezüglich der Strafen besagt der Grundtenor, daß sie sich nach der Art des Verbrechens richteten. Das die  proditores et transfugae getötet wurden, ist bei einem Kriegervolk, wie es die Germanen waren, sicherlich selbstverständlich. Diese Überläufer und Verräter wurden an laublosen, knorrigen Bäumen (ahd. wizipouma: der Strafbaum) aufgehängt. Auch bei den Römern war es Brauch, für diese Strafen die den Göttern der Unterwelt geweihten Bäume, die arbores infelices, zu benutzen. Sowohl das Erhängen, als auch das Ertränken galt nicht nur bei den Germanen, sondern auch bei den Römern zu den entwürdigsten Bestrafungen/Todesarten. Menschen, die auf eine dieser Weisen starben, hatten auch keine Aussicht auf Frieden nach dem Tod. Ein Zeichen dafür sind die gefundenen Moorleichen, welche zumeist gefesselt waren. Dieses sollte verhindern, daß die Toten als Wiedergänger zurückkehren, um sich an den Lebenden zu rächen.

Neben dieser obersten Gerichtsinstanz, die sich in erster Linie mit schweren Verstößen gegen die Volksgemeinde beschäftigte, gab es allerdings auch noch niedrigere Instanzen, wie etwa die Gaugerichte.

Durch die nachträgliche Spezifizierung sed et levioribus delictis pro modo poena wird ein Decrescendo von Vergehen und Strafe gebildet.[31]

Die Erwähnung der principes am Ende des Kapitels schließt die Klammer, welche am Anfang des Kapitels 11 - ebenfalls durch das Wort principes - geöffnet wurde. Dieses ist erneut ein Beweis für die im Vorfeld genannte Zusammengehörigkeit dieser zwei Kapitel.

3.6 Die Wehrhaftmachung und die Gefolgschaft (Kapitel 13-15)

Die Kapiteltriade 13 bis 15 hat strukturell eine ähnliche Funktion, wie das Wort principes am Ende des vorangegangenen Kapitels. Ebenso wie dort eine inhaltliche Klammer geschlossen wurde, so wird auch hier eine Klammer geschlossen, die mit der Kapiteltriade 6 bis 8 geöffnet wurde. Abermals kann man hier ein Zeichen für die inhaltliche Verknüpfung der Themen untereinander finden, wobei an dieser Stelle die Verknüpfung nicht nur formal, sondern auch inhaltlich geschlossen wird. Die erste Triade zu Beginn der vita publica behandelte das Kriegswesen. Dieser Themenkomplex wird in den nun folgenden drei Abschnitten wieder aufgegriffen. Diese Verzahnung der Kapitel drückt auch die Abgeschlossenheit des ersten Werkteils wieder. Es folgt in den Kapiteln 16 bis 27 die Darstellung der vita privata der germanischen Volksgemeinde.

Betrachtet man nunmehr die Kapitel, so lassen sich diese in einem Verhältnis von 1:2 teilen. Kapitel 13 behandelt die Wehrhaftmachung und die Gefolgschaft. Kapitel 14 und 15 sind thematisch miteinander verwandt, da sie die Gefolgschaft weiter spezifizieren. Auffällig dabei ist allerdings, daß man das 13. Kapitel selbst ebenfalls in einem Verhältnis von 1:2 unterteilen kann. Dabei beschreibt 13.1 die Wehrfähigkeit und Wehrhaftmachung; 13.2 und 13.3 beinhalten Informationen über die Gefolgschaft. Gleichfalls weist dieses Kapitel eine weitere Verzahnung mit den zuvor behandelten Themen auf. Bis 13.2 ist im engeren Sinne immer noch die Rede von der Volksversammlung. Die Wehrhaftmachung fand in der Regel während einer Volksversammlung statt. Die Überreichung der zwei Hauptwaffen, der framea und des Schildes, ist vergleichbar mit dem mittelalterlichen Brauch der Schwertleihe. Ebenso ist aber auch eine Parallele zum römischen Brauchtum zu erkennen. Im Alter von 17 Jahren bekam der römische Junge die toga virilis verliehen und legte die purpurfarbene Knabentoga ab. Bei den Germanen war dies nicht anders.

Der für wehrhaft erklärte Junge trat aus dem Schatten und der Obhut seines Vaters und wurde ein gleichberechtigtes Mitglied des Volkes.

Allerdings unterscheiden sich römischer und germanischer Brauch in zwei wesentlichen Punkten. Ist die toga virilis bei den Römern ein Zeichen oder Symbol für den Frieden, so sind die framea und der Schild Symbole für den Kampf und den Krieg. Der zweite Punkt ist, daß die Römer im Alter von 17 Jahren in die Gemeinschaft aufgenommen wurden, wohingegen bei den Germanen die Reife des Einzelnen über seine Wehrhaftigkeit und somit über die Aufnahme in die Volksgemeinde entscheidet. Tacitus macht zwar zu diesem Punkt keine genaueren Angaben, aber aufgrund von späteren nichtpoetischen Denkmälern kann man das Mindestalter auf 15 Jahre festlegen.[32]

Die Worte ante hoc domus pars videntur, mox rei publicae betonen, daß erst durch den Akt der Wehrbarmachung der junge Mann zum Mitglied des Staates wird. Von nun an erhält der junge Krieger die gleichen Rechte und Pflichten eines Erwachsenen. Die Worte suscipere tam inimicitias seu patris seu propinqui quam amicitias necesse est (21.1) verdeutlichen und unterstreichen in diesem Zusammenhang die neue Position des jungen Mannes nochmals. Allerdings wird von Tacitus ein weiterer Punkt nicht angesprochen, der sich dennoch nachweisen läßt. Oftmals galt ein neuer Waffenträger nach seiner offiziellen Aufnahme in den Stamm noch so lange nicht als vollwertig, bis er sich durch eine "Heldentat", zum Beispiel das Erlegen eines Bären oder eines Ebers bewiesen hatte.[33]

Tacitus kommt am Ende des Kapitels auf das Gefolgswesen zu sprechen, welches an eine Art von Treueverhältnis erinnert. Der Grund für diesen Bund ist aus der Kultur und Lebensweise der Germanen abzuleiten. Zum einen waren die Germanen zum größten Teil Viehzüchter, und somit mußte die Herde von allen bewacht und beschützt werden, war sie doch die Lebensgrundlage. Auf der anderen Seite war aber auch das ganze Leben an sich auf die Stammeszugehörigkeit und das daraus resultierende loyale Miteinander ausgerichtet. Das römische Leben allerdings war gekennzeichnet durch Gesetze und einen aufgeblasenen Beamtenapparat.

Betrachtet man das weite Feld der germanischen Gefolgschaft, so ist die erste Frage, die man sich zu stellen hat, wie sie strukturiert war und wie weit sie Auswirkungen auf das tägliche Leben hatte. Mader macht dazu zwei grundlegende Aussagen. Zum einen hat die Familie, die den Führer stellte und seine Ahnen auf die Götter zurückführen konnte den Kreis bestimmt weiter gezogen, als der Gefolgsmann. Zum anderen war die Gefolgschaft kein starres Gebilde, sondern eine von ursprünglichem Leben durchwachsene Einheit, in welcher - der Situation nach abhängig - Zugeständnisse oder Abstriche gemacht wurden.[34] Ebenso wie die Sippe ist auch die Gefolgschaft streng hierarchisch gegliedert. Der Führer nimmt bei einer Volksversammlung die Stellung des Vertreters der ganzen Gefolgschaft ein. Auch in anderen Lebensbereichen fungiert er als Vertreter des Verbandes. Der Eintritt in das Gefolge geschah aus Freiwilligkeit, sobald man aber dem princeps den Eid geleistet hatte - illum defendere, tueri [] praecipuum sacramentum est (14.1) - war man diesem zu absoluter Treue verpflichtet. Es wurde allerdings kein einseitiges Verhältnis eingegangen. Zum Dank für den geleisteten Eid und die Treue machte der Gefolgsherr seinem neuen comes ein Geschenk: exigunt enim principis sui liberalitate illum bellatorem equum, illam cruentam victricemque frameam (14.2). Durch eben dieses Geschenk wurde jeder Gefolgsmann formal auf die gleiche Stufe mit allen anderen Gefolgsleuten gestellt. Dennoch sagt Tacitus aber auch gradus quin etiam ipse comitatus habet iudicio eius quem secantur (13.2). In Anbetracht des starken Familienzugehörigkeitsgefühls ist es allerdings nicht verwunderlich, daß es bei der Verteilung der Amter und Aufgaben immer zu einer Bevorzugung der eigenen Familienangehörigen seitens des Führers kam. Mader bemerkt dazu, daß eine solche Favorisierung neben Rechten oft auch eine große Zahl von Pflichten mit sich brachte. Es sei daher anzunehmen, daß mancher comite nicht betrübt war über die Wahl eines anderen Mannes.

Im letzen Satz des Kapitels bringt Tacitus den Krieg zur Sprache. Diese Themenstellung wird in Kapitel 14 durch cum ventum in aciem (14.1) aufgenommen und fortgeführt. Somit bleibt die Gefolgschaft weiterhin die Hauptthematik, wenn auch in diesem Textabschnitt eher die kriegerische Seite beschrieben wird. Aus dem nun folgendem kann man zwei Hauptaussagen heraus filtern. Erstens wird der Begriff der virtus erneut angesprochen und weiter differenziert: turpe principi virtute vinci, turpe comitatui virtutem principis non adaequare (14.1). Laut Müllenhoff[36] ist das Wort adaequare ein Zeichen für den vorherrschenden Wettstreit zwischen dem Führer einer Gefolgschaft und seinem Gefolge. Erstaunlich ist in diesem Zusammenhang das germanische Selbstverständnis des Wortes Ruhm. Tacitus beschreitet hier abermals den Weg des Vergleichs zwischen Römern und Germanen. In Rom fiel der Ruhm einer Schlacht oder eines Kriegserfolges einzig und allein dem Feldherrn zu und in späterer Zeit dem Kaiser. Die Soldaten hatten daher keinerlei Anteil daran. Von dieser Tatsache war allerdings die Moral innerhalb der Legionen oftmals betroffen, welche nur mühsam aufrechterhalten werden konnte. Wenn man nun diese Stelle der Beschreibung im Agricola vergleicht, so kann man den Eindruck bekommen, daß sich der germanische Soldat seinem Herrn gegenüber so verhalte, wie es bei den römischen Legionären wünschenswert wäre. Allerdings ist es auf der anderen Seite fraglich, wie wahrheitsgetreu diese Schilderung des Ehrbegriffes ist und inwieweit nicht illusorischer Idealzustand. Auch Müllenhoff spricht in diesem Zusammenhang davon, daß diese Passage geprägt ist von poetischen und rhetorischen Stilmitteln. Aus diesem Grunde fällt es dem Leser an dieser Stelle schwer den Worten des Autors Glauben zu schenken.

Zweitens, daß, wenn es zu einer langen Kriegspause kam, plerique nobilium adulescentium petunt, ultro eas nationes, quae tum bellum aliquod gerunt (14.2). Diese hier geschilderte Rastlosigkeit scheint sich auf den ersten Blick von der Tapferkeit der Germanen abzuleiten, dennoch ist dieses in Frage zu stellen. Much[39] ist der Ansicht, daß es aus wirtschaftlichen Gründen oftmals gar nicht möglich war, eine große Gefolgschaft mit allem Notwendigen zu versorgen. Bedenkt man die Landesbeschreibung am Beginn des Textes, so ist diese These durchaus nachvollziehbar. Der sehr pathetisch klingende Abschluß dieses Kapitels pigrum quin immo et iners videtur sudore acquirere quod possis sanguine parare (14.2) erscheint unter diesem Gesichtspunkt in einem sehr viel realistischeren Licht.

Doch es gab auch andere Gefolgschaften, die sich während einer Friedensphase nicht auf dem Weg machten, um bei anderen Völkern Krieg zu führen. Das letzte Kapitel dieses ersten großen Abschnitts und zugleich Ende der vita publica befaßt sich mit eben diesen Gefolgschaften. Kraggerud[40] sagt, daß dieses Kapitel als Übergangskapitel zwischen öffentlichem und privatem Hauptteil der ersten Germaniahälfte fungiert.

Tacitus beschreibt in diesem letzten Kapitel der Triade einen Zustand, der für das germanische Volk eher untypisch ist: die Zeit des Friedens. In diesem Zeitraum, so die Aussage des Autors, begnügen sich die Germanen mit Müßiggang, Schlafen und Essen. Dabei gilt, daß fortissimus quisque ac bellicosissimus nihil agens.

Den Führern der Gefolgschaften werden in dieser Zeit der Erwerbslosigkeit Geschenke seitens der comites gemacht. Diese auf den ersten Blick hin etwas unvorstellbare Tatsache hat allerdings einen leicht verständlichen Hintergrund. Es dürfte für den Vorsteher der Gefolgschaft beinah unmöglich gewesen sein, neben seinen Pflichten als Repräsentant auch ein normales leben geführt zu haben, in dem er sich um den Hof und sonstige Einkünfte gekümmert hat. Das Gefolge übernimmt somit in der Friedenszeit die Aufgabe der Versorgung des Führers.

Es kommt aber auch vor, daß benachbarte Stämme Ehrengaben überreichen. Auffällig hierbei ist, daß es sich bei diesen Geschenken, wie etwa electi equi, magna arma oder phalerae torquesque abermals immer um Symbole des Kampfes und Krieges handelt. Der Schlußsatz iam et pecuniam accipere docuimus ist laut Müllenhoff[41] eine zeitgemäße politische Anspielung.


4.0 Zusammenfassung

Betrachtet man abschließend die gesamte Darstellung der vita publica der germanischen Volksstämme, so fällt dem Leser sofort auf, daß es sich bei dem vor ihm liegenden Werk um keine objektive und nüchterne Beschreibung von Tacitus handelt. Er war vielmehr darum bemüht, dem römischen Volk eine Kultur näher zu bringen, die der ihren so fremd war. Das es sich um keine objektive Schilderung handelt, kann man sehr klar daran erkenne, daß Tacitus - ein vollendeter Rhetoriker - sein Beschreibung wie ein literarisches Werk aufgebaut hat. Neben stilistischen und rhetorischen Mitteln ist die inhaltliche Verzahnung des Textes ein besonders ins Auge fallende Kennzeichen. Tacitus versuchte durch die Interpretatio Romana dem Leser eine Hilfe zum Verständnis eines angeblich barbarischen Volkes an die Hand zu geben. Immer wieder zeigt er Berührungspunkte der zwei Kulturen auf, die auf den zweiten Blick hin gar nicht so unterschiedlich waren. Die Ausführungen über die Religion der Germanen ist in diesem Zusammenhang besonders herausragend. Tacitus weist hier den Hauptgöttern der Germanen jeweils ein römisches Aquivalent zu. Wodan, den Hauptgott der Germanen stellt er Merkur gegenüber; Donar ordnet er Herkules, den Wohltäter der Menschheit zu. Durch diese Zuweisungen wollte der Autor vielleicht den barbarischen Charakter der Germanen relativieren und dem Römer den germanischen Mensch vor Augen führen. Auf der anderen Seite stellt er aber auch deutlich die vorhandenen Unterschiede der beiden Völker klar heraus, wie etwa die Disziplinargewalt des dux oder das Klagerecht eines jeden Germanen während einer Volksversammlung.

Allerdings kommt es aufgrund dieser Gegenüberstellung auch an manchen Stellen zu Fehlern oder falschen Interpretationen. Diese sind zum Beispiel in der Beschreibung des Gefolgswesen zu finden. Tacitus neigt an dieser Stelle zur Übertreibung, wenn er die Germanen als faul und untüchtig beschreibt. Hierfür gibt es aber auch Erklärungsansätze. In der Gesamtdarstellung erscheint dem Leser die Lebensweise der Germanen oftmals als eine Art Idealzustand, der von den Römern nicht erreicht wird. In der Forschung führt dieses zu der heute allerdings überholten Theorie des Sittenspiegels. Man kann zwar davon ausgehen, daß Tacitus bestimmt auch Moral- und Sittenverfall der Römer aufzeigen wollte, aber dieses als Intention seines Werkes zu sehen wäre nicht richtig.

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Vgl. Wilke, G. (1921) Archäologische Erläuterungen zur Germania des Tacitus, S. 31

Vgl. Much, R. (1937) Die Germania des Tacitus, S.85

Vgl. Wilke, G. (1921), S. 31

Vgl. Lund, A. (1988), 134

Tac., Ann. 1,65: (Arminius) cum delectis scindit agmen

Wolff (1934), 268

Vgl Plut. Mar. 19

Vgl. Timpe, Dieter (1995) Romano - Germanica, Gesammelte Studien zur Germania des Tacitus, 97

Vgl Lurker, M. (1989), Lexikon der Götter und Dämonen

Vgl. Timpe (1995), 110

Vgl. Wille (1983), 82

Vgl. Much, R. (1937), 140

Wolff (1934), 270f

Wille (1983), 83

Vgl. Mader, U.J. (1940), Sippe und Gefolgschaft bei Tacitus, 53

Vgl. Mader, U.J. (1940), 57

Vgl. Mader, U.J. (1940), 19

Vgl. Mader, U.J. (1940), 99

Vgl. Müllenhoff, K. (1900), Die Germania des Tacitus, 265

nec Agricola umquam in suam famam gestis excultavit: ad auctorem ac ducem ut minister fortunam

referebat: ita virtute in obsenquendo, verecundia in praedicando extra invidiam nec extra gloriam erat.

nach: Städele, A., Agricola - Germania (Artemis & Winkler), 1991

Vgl. Müllenhoff, K. (1900), 265

Vgl. Much R. (1937),Die Germania des Tacitus, 163

Vgl. Kraggerud, Egil (1972), Verknüpfung in Tacitus Germania, Symbolae Osloenses 47, 7-35, 19

"Es ist Tacitus zunächst wieder nur um einen pointierten Schlußsatz zu tun, der aber zugleich einen

Stachel gegen seine eigenen Landsleute enthält. Vermutlich schwebte ihm auch hier die Unwürdigkeit

des Verhältnisses vor, das in einer für den Patrioten so beschämenden Weise in den verschlossenen

Perioden zwischen Römern und Germanen bestand, wo Kaiser wie Caligula und Domitian, statt die

Feinde mit den Waffen zu bekämpfen, den Frieden erkauften". 280



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