Der Biberpelz Eine Diebskomödie
Komödie in vier Akten von
Gerhart Hauptmann Uraufführung: Berlin, 21. 9. 1893, Deutsches Theater. - Die
Handlung des Stucks spielt "irgendwo um Berlin . . . ,gegen Ende der achtziger
Jahre". Die Schauplätze wechseln zwischen der Wohnung der Familie Wolff und dem
Büro des Amtsvorstehers v. Wehrhahn. "Mutter Wolffen", die resolute Frau des
etwas schwerfällig-ängstlichen Schiffszimmermanns Julius Wolff, kommt mit einem
gewilderten Rehbock nach Hause. Hier wartet ihre Tochter Leontine, dieaus Ihrem
Dienst bei dem Rentier Krüger davongelaufen ist, weil sie noch in den späten
Abendstunden einen Stapel Holz in den Stall schaffen sollte. Mutter Wolffen,
stets auf ihren guten Ruf bedacht, will ihre Tochter zurückschicken.
Aber als sie erfahrt, daß es
sich um «schöne, trockene Knüppel" handelt, erlaubt sie Leontine, in der
Absicht, selbst an das Holz zu gelangen, wenigstens für eine Nacht dazubleiben.
Während sie dem Spreeschiffer Wulkow den "verendet gefundenen" Rehbock
verkauft, erzählt ihre jüngste Tochter Adelheid, Frau Krüger habe ihrem Mann
kürzlich einen wertvollen Biberpelz geschenkt. Der von Rheuma geplagte Wulkow
erklärt, er wurde für einen solchen Pelz ohne weiteres sechzig Taler zahlen.
Mit dieser Summe aber konnte Mutter Wolffen den größten Teil ihrer Schulden
begleichen. Und da sie nie kleinlich ist, wenn es um das Wohl ihrer Familie
geht, beschließt sie, besagten Pelz an sich zu bringen, um ihn an Wulkow zu
verkaufen. Vorher jedoch gilt es, den Holzstapel auf die Seite zu schaffen, den
Leontine vor Krügers Haus liegen ließ. Als sie zum nächtlichen Beutezug
aufbricht, ist ihr der nichtsahnende Amtsdiener Mitteldorf bei den
Vorbereitungen behilflich. Krüger erstattet wegen der Diebstähle Anzeige. Aber
der Amtsvorsteher von Wehrhahn fühlt sich dadurch nur belästigt. Er, der seine
Obliegenheiten für einen "heiligen Beruf" hält und sich als "König" in seinem
Amtsbereich fühlt, ist allein daran interessiert" dunkle Existenzen, politisch
verfemte, reichs- und königsfeindliche Elemente" aufzuspüren. So trachtet er
danach, den Privatgelehrten Dr. Fleischer der, wie er erfahren hat, zwanzig
verschiedene Zeitungen bezieht und regelmäßig freigeistige Literaten empfängt,
wegen Majestätsbeleidigung verhaften zu lassen. Er stützt sich dabei auf die
Angaben des notorischen Schwindlers und Denunzianten Motes. Als Dr. Fleischer
aber seinerseits dem Amtsvorsteher berichtet, er habe einen ziemlich dürftigen
und schmuddeligen Spreeschiffer gesehen, der einen nagelneuen Biberpelz trug,
läßt sich Wehrhahn mit kriminalistischem Scharfblick ausgerechnet von dem
zufällig anwesenden Wulkow bestätigen, daß das nichts Außergewöhnliches sei.
Die Komödie endet, ohne daß die Diebstähle aufgeklärt werden. Krüger und
Fleischer werden vom Amtsvorsteher mit dem Hinweis entlassen: "Die Wolffen kann
ja mal´n bißchen rumhören." Der Mutter Wolffen aber, die mit großer Pfiffigkeit
alle Verdachtsmomente von sich abzuwenden weiß, bescheinigt Wehrhahn, sie sei
"eine ehrliche Haut".
Der offene Schluß
überraschte bei der Uraufführung das Publikum so sehr, daß es in Erwartung
eines auflösenden Endes einfach sitzenblieb, während die zeitgenössische Kritik
die mangelhafte Komposition des Stücks monierte (P. Schlenther). Noch B. BRECHT
suchte in seiner Bearbeitung des Biberpelzes und dessen Fortsetzung, Der rote
Hahn (1901), in dem die Wolffen einen Versicherungsbetrug unternimmt, dem
individualistischen Existenzkampf der Kleinbürger eine politische
Sinnperspektive beizugeben. Die neuere Forschung legt demgegenüber die Betonung
darauf, daß Hauptmann mit dem offenen Schluß des Biberpelzes nicht vor den
kritischen Konsequenzen seines Stückes ausgewichen sei, sondern gerade dadurch
die Borniertheit jener, die als Stützen der herrschenden Gesellschaft
erscheinen, offensichtlich wird. Was der Autor in seiner Diebskomödie - eine
der nicht eben zahlreichen, gelungenen Komödien der deutschen Literatur
darstellt, war für ihn unmittelbare und erlebte Gegenwart, die Zeit, in der die
"Sozialistengesetze" rücksichtslos zur Unterdrückung "revolutionärer Elemente"
angewandt wurden. In dem Literaten Dr. Fleischer hat der Dichter der - wie er
selbst berichtet - während seines Aufenthaltes in Erkner bespitzelt wurde, sich
selbst dargestellt. Auch die Figur des monokelbewehrten preußischen Landjunkers
v. Wehrhahn, der "nahezu im Fistelton" spricht und sich "militärischer Kürze im
Ausdruck" befleißigt, entstammt Hauptmanns Erfahrungsbereich. Die öffentliche
Ablehnung der Weber durch die konservativen Repräsentanten des Kaiserreiches
reizte ihn, einen in seiner anmaßenden Engstirnigkeit typischen Vertreter
dieses Regimes bloßzustellen. Mit diesem aufgeblasenen Amtsvorsteher - auf die
Ahnlichkeit zum Dorfrichter Adam aus H. v. KLEISTS Dcr Zcrbrochene Krug (1811)
wurde immer wieder hingewiesen - hat Hauptmann der Galerie des "bürgerlichen
Heldenlebens, die neben ihm WEDEKIND, Georg KAISER, STERNHEIM und Heinrich MANN
um zahlreiche Figuren bereichert haben, eine der einprägsamsten Gestalten
eingefügt.