Grenzjäger
Ein Hörspiel von Jan Rys
Biographie
Jan Rys (eigentlich Marcel Nerlich) wurde am 22. Juli 9131 in Mährisch
Austrau/Tschechoslowakei geboren. Als Schüler wechselte er zwischen Gymnasien
im sogenannten Protektorat, in der CSSR, in Österreich und der Bundesrepublik.
Die Erfahrungen genügten ihm um aufs Abitur zu verzichten. Seit 1951 freier
Schriftsteller. 1960 hatte er mit dem Grenzjäger einen großen Hörspielerfolg.
Die Form des Hörspiels liebt er für die Mehrdeutigkeit der Sprache und für das
Spiel mit Wirklichkeiten. Thematisch geht es ihm vor allem darum, die Frage
nach dem ich in seinen Personen zu stellen. Viele seiner Hörspiele wurden auch
in andere Sprachen übersetzt.
Um junge Autoren zu Werkstattgesprächen zusammenzuführen, hat Rys das
Diskussionsforum Karlstein gegründet.
Personen
Vrazil, Liska: Zwei Herren, die
sich in einem Wiener Café zum Spiel treffen
Inhaltsangabe
In einem Wiener Café sitzen ein alter und ein jüngerer Mann.
Konzentriert wie auf eine Partie Schach
oder Tarock , aber ohne Spielbrett oder Karten, spielen die beiden ein
seltsames, Hypothetisches Spiel: Heimkehr. Sie sind Flüchtlinge, spielen auch
nicht zum ersten Mal so. Doch heute, da der Ober sieht daß der alten Vrazil
besonders aufgeregt ist rät er dringend ab. Vrazil indessen besteht darauf
wieder von Liska "geführt" zu werden; heute würden sie bestimmt ans Ziel
kommen. Während sie die ganze Zeit an ihrem Caféhaustisch sitzen bleiben, ohne
Ortswechsel oder Einblendungen, überwinden sie in ihrer Fantasie Kontrollen,
Sperren, Gefahren. Liska duldet beim Spiel kein Schummeln, "schöne"
Erinnerungen sind verpönt, Vrazil wird auch real mit den gegenwärtigen
Verhältnissen "drüben" konfrontiert: Militärstreifen überwachen Straßen und
Züge, Stacheldraht und Minenfelder sind zu überwinden und zu umschleichen,
Bahndämme heimlich zu übersteigen. Nur im Zug bei Vorüberfahrt an einer
Wallfahrtskirche, eine Erinnerung an Fahrten in ihrer Jugend, bleibt eine kurze
Atempause. Dann, in der Heimatstatt darf Vrazil erst recht nicht ausweichen.
Der Unterschied gegen früher ist deutlich genug: Die Polizisten sind nicht mehr
blau sondern grün, nicht mehr Ordnungshüter, sondern Handlanger der Macht, und
in Vrazils Wohnung gibt es keine gestreiften Vorhänge, kein Sofa zum ausruhen
mehr, fremde Leute wohnen hier. Schließlich ist Vrazil ja damals davongelaufen!
Liska, der Realist, glaubt, die enttäuschende Korrektur der Einrichtungen müßte
Vrazil genügen, seine fieberhafte Sehnsucht nach etwas, das es nicht gibt,
abzubauen, und will das Spiel beenden. Doch nein, Vrazil will nicht mehr zurück.
Er kennt einen sicheren Ort zum Ausruhen, einen großen Stein unter der
Brückenrampe, auf dem sie als Jungen beim angeln saßen. Verzweifelt bittet der
erschöpfte Mann, ihm doch wenigstens diesen Stein zu lassen; er hat ihn vor
Jahren selbst aus dem Fluß geholt. Und so bleibt Liska nichts anderes übrig als
Mitleid zu haben und Vrazil zu versichern, daß er daß er bleiben kann, daß er
nicht mehr ins Asyl, ins Flüchtlingslager, zurückmuß. - In einem armseligen
Caféhaus in Wien stirbt ein armseliger alter Mann, dem niemand hat helfen
können. Im Augenblick des Todes ist er nachhause gekommen, auf seinen Sein am
Heimatfluß. Außer belanglosen Schulden hat er nichts hinterlassen; Liska
begleicht die Rechnung.