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1. Die Szene in der Grenouille sich in den Berg zurückzieht und nur noch in seiner eigenen Duftwelt als Herrscher lebt verbinde ich mit verschiedenen Erinnerungen. Zum einen mit Remarque´s "Im Westen nichts Neues", dem Moment mit der Milch und der Geborgenheit, zum anderen mit der Höhle aus der "Blauen Blume", die ebenso eine gewisse Geborgenheit darstellt, die sonst nur unter einer heissen, morgendlichen Dusche oder im Mutterleib zu finden ist.
2. Anders als dem von seiner letalfluiden Theorie bessessen Marquis de la Taillade Espinasse versprochen, ist es nicht Grenouilles eigentliches Ziel sich ein vitalfluides Parfüm zu kréieren, sondern in den Besitz des menschlichen Duftes zu gelangen.Dabei bedient er sich nicht einmal den üblichen Essencen, sondern "stink"normalem Dreck wie Katzenkot, altem Käse oder Essig, Ammoniak, faulem Ei oder Schweineschwarte, um den Grundton eines jeden Menschens zu kréieren. Der eigentlich unangenehme Duft gibt den Menschen die Geborgenheit des Vertrauten, des Wirklichen und realen Seins. Dieses "Parfum", das Grenouille erschafft, wirkt nicht eigentlich wie ein Duft, es ist nicht Schale für einen Menschen, sondern es ist Mensch selbst, es ist Kern und Hülle zugleich.
Mit seiner Schöpfung bestäubt wagt sich Grenouille, der fürs erste Mal in seinem Leben nach Mensch riecht, das erste mal unter die Menschen und ist fasziniert von der Wirkung seiner genialen Schöpfung, davon, dass man ihn nun bemerkt, dass man ihn als Menschen ansieht, und durch seinen Menschengeruch ihm sogar vertraut. Auch wenn es reichlich seltsam scheint, so erinnert mich diese Szene doch leicht an Pinocchio. Um ein "normaler" Junge zu werden wagt er sich auf den Jahrmarkt, wo er zwar von jeden als normaler Junge behandelt wird und nicht zur Schule zu gehen braucht, doch verwandelt er sich langsam in einen Esel.
3. "Sie hatten zum ersten Mal etwas aus Liebe getan." Somit hat es Grenouille durch seine Genialität wirklich erreicht, dass man ihn "zum Fressen gern hatte", und alle Spuren seines Daseins schlussendlich verwischt sind. Ganz im Gegenteil dazu steht "Lieben heisst loslassen können", sei es nun bei Tieren oder bei Menschen. Etwa wie die Schlussszene im "Le grand bleu" es darstellt. Ebenso wie beide Helden sich in den Tiefen des Meeres begraben, so begräbt auch Grenouille sich in den Tiefen des menschlichen Magens und macht dabei den Umweg über das Herz.
Weshalb riechen Blumen gut und Faules unangenehm? Wodurch bestimmen wir was ein simpler Geruch, was ein wohlriechend verführerischer Duft ist? Und wodurch wird der beissende, unangenehme Schweissgeruch eines Menschen, bei "passender" Stimulation zum alles überragenden Duft? Verführen tut jegliches Lebenwesen auf Erden bekannterweise nicht nur mit akustischen oder optischen Reizen, eine ganz wichtige Rolle kommt dabei auch den olfaktorischen Reizen zu. Ist es bei Blumen und Tieren noch relativ simpel, so streitet man noch heute über kaum wahrnehmbare Pheromone, die scheinbar ausschlaggebender für den zwischenmenschlischen Kontakt sein sollen als alles andere. Diese Pheromone, bei denen man ja eigentlich nicht von einem Duft reden kann, weil man sie eigentlich garnicht riecht, sind doch umso bedeutender in punkto Verführung und damit dem geistigen Unterschied zwischen Geruch und Duft. Die Grenze zwischen Geruch und Duft ist ebenso von Mensch zu Mensch verschieden, wie von Kultur zu Kultur. Also liegt es nahe, dass nicht der Duftstoff selbst, sondern das Bewusstsein eines jeden Menschen den Unterschied zwischen Geruch und Duft ausmacht. Und wahrlich, wenn man sich bewusst wird, dass viele Handlungen und Meinungen eines Menschen vom Geruch bestimmt werden, den er gerade in sich aufnimmt, weshalb dann nicht dies ausnutzen und den perfekten Geruch entwerfen, der für jeden Menschen zum unwiderstehlichen Duft wird und seinen Geist gefügig macht? Auch wenn es noch nicht ganz so weit gekommen ist, gänzlich abstreiten kann man nicht, dass die Düfte unserer Epoche darauf abgerichtet sind zu verführen. Sei das nun die Kombination von Mensch und "Eau de toilette" oder von Gummibärchen und Fruchtaromen, bei jeden Duft kommt es darauf an die Zielperson zu verführen und die eigenen Ziele zu erreichen.
Ein Märchen, ein Krimi, eine Horrorgeschichte oder eine Philosophiebuch? Mir fällt es schwer dieses Buch in eine dieser Kategorien einzureihen. Warum sollte ich auch? Denn das Leben des Jean-Baptiste Grenouille ist zum einen eine Ansammlung von Wahnsinn und Mord von Ekel und Grausamkeit und zum andern das Märchen vom verkannten Genie, vom armen Windelkind und verstossenen Krüppel. Dazu kommen die Eindrücke von Grenouille, mit denen man sich unschwer identifizieren kann, auch wenn das lieber heimlich geschieht, da die im Buch vermittelten Werte und Anschauungen nicht immer den üblichen moralischen Ansichten entsprechen. Man kommt einfach nicht dazu Grenouille zu hassen für das was er tut, lieber würde man ihn als das Opfer seines Genies ansehen oder als Opfer seiner Morde.
Dennoch. Das Buch ist von Anfang bis Ende spannend, und büsst auch während den eher melancholischen Phasen nichts von seiner Attraktivität ein. Im Gegenteil, Grenouille's
kranker Geist regt einen an seine Nase bewusster durch die Gegend zu tragen und ab und zu auch stärker zu schnuppern.
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