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Referat Die Entwicklung der studentischen Sexualmoral im zwanzigsten Jahrhundert

philosophie referate

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Inhaltsverzeichnis



Einleitung

Die studentische Sexualmoral in den 30er Jahren


Die studentische Sexualmoral in den 60er Jahren

3.1. Eine Studie von Vance Packard

3.2. Die 68er Kulturrevolution

Eine Untersuchung von Giese & Schmidt

Die studentische Sexualmoral in den 80er Jahren

4.1. Eine Untersuchung von Clement et al

Sexualität im Wandel: Ein Vergleich 1966 -1981

Die studentische Sexualmoral in den 90er Jahren

5.1. Eigene Befragung

Konklusion


Anhang



8. Bibliographie







1. Einleitung

Sexuality: a subject which might seem a public irrelevance -

an absorbing, but essentially private, concern. A constant fact

also, one might imagine, since it is given by biology and

necessary for the continued life of the species. Yet in fact sex

now continually features in the public domain and, moreover,

speaks the language of revolution. Over the past several decades,

so it is said, a sexual revolution has occurred; and revolutionary hopes

have been pinned to sexuality by many thinkers, for whom it

represents a potential realm of freedom, unsullied by the limits of

present-day civilisation. (Giddens, Einleitung)

Über diese "sexuelle Revolution", wie Giddens sie nennt, möchte ich in meiner Seminararbeit mit dem Titel "Die Entwicklung der studentischen Sexualmoral im zwanzigsten Jahrhundert" berichten. Dabei gebe ich einen detaillierten Überblick über den Wandel der sexuellen Einstellungen der Studenten in den vergangenen sieben Jahrzehnten. Und das nicht ohne Grund, denn seit 1930 hat sich die studentische Sexualmoral tiefgreifend verändert. Ein Wandel von einer repressiven zu einer permissiven Sexualität hat sich vollzogen, d.h. ein Wandel von einer hemmenden, unterdrückenden Sexualität, zu einer Sexualität, in der fast alles erlaubt ist, in der es so gut wie keine Grenzen mehr gibt. Eine Sexualität, in der die Verhaltensnormen nur mehr locker kontrolliert werden.

Während in den dreißiger Jahren, sowie in den Aufbaujahren nach dem Krieg bis hin in die Mitte der sechziger Jahre noch eben diese restriktive und restaurative Sexualmoral vorherrschte, begannen sich die Studenten erst Mitte der sechziger Jahre langsam aber sicher von dieser Ansichtsweise zu lösen. Die festgelegten und traditionellen Konzepte und Vorstellungen von Sexualität wurden brüchig und ein leichter Trend in Richtung Permissivität hin ließ sich schon erkennen. Der Höhepunkt der sexuellen Liberalisierung trat jedoch erst später auf, ausgelöst durch die Kulturrevolution im Jahre 1968. Dies war eine Zeit, in der sich die Studenten vehement gegen die großteils immer noch starren, autoritären Systeme auflehnten.

Nach dieser Erläuterung, wie sich die sexuellen Erscheinungen im Laufe der Zeit verändert haben, stelle ich zwei berühmte Studien aus den Jahren 1966 von Giese & Schmidt und 1981 von Clement et al. vor. Weiters möchte ich auch auf eine von mir selbst durchgeführte Befragung von 42 Student(inn)en, sowie auf einer damit verbundenen Problematik eingehen.

Ziel dieser Arbeit ist es, dem Leser Einblick in diesen durchaus interessanten historischen Wandel der Sexualität zu verschaffen, ihn letztlich aber auch auf die teils ambivalenten Aspekte dieses kontinuierlichen Liberalisierungs- prozesses aufmerksam zu machen.

2. Die studentische Sexualmoral in den 30er Jahren

In den 30er Jahren wurde das Thema "Sexualität" noch sehr streng gehandhabt. Im Mittelpunkt dieser restriktiven Einstellung zur Sexualität stand einerseits die Miteinbeziehung der Eltern, wenn es um die geeignete Partnerwahl ihrer Kinder ging:

Zwei Junge Leute treffen sich auf dem Studentenball, küssen sich

auf dem Nachhauseweg, das Mädchen bestellt ihn, nachdem sie

nun - durch das Küssen - verlobt seien, ins Haus der Eltern. Der

Vater des Mädchens verlangt eine Unterredung mit dem Vater

des jungen Mannes. Dieser sperrt sich gegen die Verbindung.

Der Familienrat beschließt: "man wolle eine Zeitlang zuwarten"

(ebd., S.287). In der Zwischenzeit darf der Bräutigam einmal in

der Woche mit der Familie der Braut essen. Das Paar begibt sich

nach dem Essen ins "anschließende" Zimmer zu einer Tasse Tee

und gehobenen Gesprächen. (Reimann, 57)

Andererseits wissen wir auch aus eben diesen überlieferten Verhaltenscodes, daß vorehelicher Geschlechtsverkehr nicht üblich war, voreheliche Keuschheit hingegen die Zeit regierte. Dieses "Phänomen" beschrieb auch Lillian Rubin. In ihrem Buch Erotic Wars (New York, 1990) untersuchte sie 18 bis 48jährige Amerikaner und Amerikanerinnen und "[revealed]a tale of change of almost staggering proportions in relations between men and women over the past few decades". (Rubin, 8 in Giddens, 9)

The author prefaces her report on what things were like

for the older generation with her own testimony, as a

member of that generation herself. She was a virgin at the

time of her marriage during World War 2, a girl who 'followed

all the rules of her day', and would never have 'gone all the

way' (Giddens, 9)

Daß die Liebes- und Lusterfüllung in der Ehe dann meist als Enttäuschung empfunden wurde, wußte schon Sigmund Freud in seiner ersten kulturtheoretischen Abhandlung "Die Sexualmoral und die moderne Nervosität" anzuführen. Mit den Worten: "Die asketische Sexualmoral sei eine schlechte Vorbereitung auf die Ehe sie verzehre die Kräfte des Mannes" machte er auf die möglichen, manchmal auch verheerenden Folgen der vorehelichen Restriktion aufmerksam.

3. Die studentische Sexualmoral in den 60er Jahren

Als Leser werden Sie sich jetzt wahrscheinlich wundern, warum ich plötzlich einen so großen zeitlichen Sprung in die Zukunft mache, und somit 30 Jahre scheinbar völlig kommentarlos vorüberziehen lasse. Tatsache ist jedoch, daß sich in den Jahren zwischen 1930 und 1960 kaum etwas signifikant erwähnenswertes bezüglich der Einstellung der Studenten zur Sexualität getan hat. In vielen Untersuchungen, wie zum Beispiel in der von Bell 1968, Gagnon und Simon 1970 oder Shorter 1975 herrscht Übereinstimmung darüber, daß es in eben diesem oben genannten Zeitraum keine bedeutenden Veränderungen gegeben hat. So ist zum Beispiel die Quote der vorehelichen Geschlechtserfahrungen kaum gestiegen. Diese vorübergehende Konstanz in der Verbreitung des vorehelichen Koitus geht nämlich mit der Zeit des Pettings einher. Petting, "die manuelle oder orale sexuelle Stimulation mit oder ohne Orgasmus" (Clement, 6) entpuppte sich nämlich als die ideale Form geschlechtlicher Betätigung schlechthin. Es stellte sozusagen einen Kompromiß zwischen Jungfräulichkeit und Koitus dar, einen Kompromiß, der vor allem bei Frauen großen Anklang fand. Schließlich waren es ja immer noch die Frauen, denen bei Verlust ihrer Jungfräulichkeit negative Sanktionen drohten. Was geschah also dann nach 1960?

Fakt ist, daß es bis Mitte der 60er Jahre noch keine wirklich empirisch - repräsentativen Forschungen zur Sexualmoral und zum Sexualverhalten gab. Tabus regierten die Öffentlichkeit. Über Sexualität wurde einfach nicht gesprochen. Und wenn doch, dann nur, um auf die verheerenden Folgen von Onanie und Homosexualität aufmerksam zu machen. So wurde ich bezüglich der eben genannten Themen in einem medizinischen Nachschlagewerk aus dem Jahre 1968 eines Besseren belehrt. Unter dem Kapitel Sexuelle Auswege steht hier folgende Erkenntnis:

Die Feststellung, daßbei [gleichgeschlechtlicher Freundschaft]

gemeinsames Leid als halbes Leid und gemeinsame Freude als

doppelte Freude empfunden wird, bedeutet eine große Gefahr

für die weitere geschlechtliche Entwicklung[und] kann durch

ungünstige Umwelteinflüsse in falsche Bahnen gelenkt werden

und zur Homosexualität führend.h. die Zuneigung zum gleichen

Geschlecht wird als eine Verhaltensstörung aufgefaßt, bei der

psychische Ursachen eine sehr gewichtige Rolle spielen.

(Das große Gesundheitsbuch, 721-22)

Mit guten Tips und Tricks, wie man denn diesem abartigen Phänomen entgegentreten könnte, wird in diesem Ratgeber keinesfalls gespart.

Da man weiß, daß lang anhaltendes Sitzen mit dem dabei erfolgenden

Blutandrang zu den Geschlechtsorganen zu einer Überreizung der

Nerven in Verbindung mit einer Anregung der Phantasie führt, daß

Mangel an körperlicher Betätigung, zu eiweißreiche Nahrung, zu

warme und zu weiche Betten, Alkohol und Nikotin, schlechter Umgang

und schlechte Lektüre die zusätzlichen Ursachen sind, muß zunächst

einmal die Lebensweise des Jugendlichen umgestellt werden. Man

beschränkt das viele Sitzen auf das unbedingt erforderliche Maß und

schafft Ausgleich durch Sport und Wandern, Abhärtung durch Luft,

Kaltwasserbäder, Schlafen auf harter Matratze in gut durchlüftetem

Zimmer, reizarme, aber abwechslungsreiche biologische Kost und

Meidung jeglicher Nervenüberreizung. (Das große Gesundheitsbuch,


Man kann sich deshalb auch sehr gut vorstellen, daß sich Befragungen zum Thema Sexualität zu diesem Zeitpunkt oder gar früher alles andere als leicht gestalteten. Viele der Befragten weigerten sich schon von vornherein, an einer Befragung überhaupt teilzunehmen, da mit den Fragen damalige Tabus verletzt wurden, und was hatte man letztendlich mit dieser Information auch schon gewonnen?

Weiters stellten sich die Befragungen selber oft als nicht wirklich repräsentativ heraus. Angesichts einer solchen Tabuisierung des Sexuellen verwundert es nicht, daß Worte wie Sexualität peinlichst vermieden und statt dessen mit Phrasen wie intime Beziehung substituiert wurden. Wie weit nun alle Befragten dem Wort intime Beziehung die gleiche Bedeutung zumaßen, nämlich mit Koitus assoziierten, ist äußerst fraglich. Aus diesen Gründen bleiben die Ergebnisse dieser Befragungen eher zweifelhaft und wenig repräsentativ.

Eine Studie von Vance Packard

Eine der ersten, in den sechziger Jahren durchgeführten, repräsentativen Studien ist die von Vance Packard. In dieser Studie, die sich mit dem Thema des vorehelichen Geschlechtsverkehrs auseinandersetzt, wurden 2100 Studenten von 21 amerikanischen Colleges und darüber hinaus noch Studenten aus Großbritannien, Kanada, Frankreich und Deutschland mittels eines Fragebogens mit dem Titel "The Sexual Wilderness" befragt. Betrachtet man die Hauptergebnisse (Packard 1972, in Reimann, 63-64) dieser Studie, wird man feststellen können, daß sich ein leichter Trend zur Permissivität der sexuellen Einstellungen erkennen läßt:

die traditionelle Vorstellung von der Keuschheit bis zur Ehe wurde nicht mehr von der Mehrzahl der männlichen und weiblichen Studierenden geteilt;

die Mehrzahl der Männer hielt den vorehelichen Geschlechtsverkehr für zulässig, vorausgesetzt, die Partner wären über 18 und "versuchsweise verlobt";

die Mehrzahl der Frauen hielten Geschlechtsverkehr nur dann für zulässig, wenn die Partner über 21 und "offiziell" verlobt wären; (Packard 1972, in Reimann, 63-64)

Auch Lillian Rubin machte in ihrer Studie dieselben Beobachtungen.

Virginity on the part of girls prior to marriage was prized

by both sexes. Few girls disclosed the fact that if they

allowed a boyfriend to have full sexual intercourse - and

many were only likely to permit such an act to happen once

formally engaged to the boy in question. (Giddens, 9)

Frauen hatten offensichtlich eine konservativere Einstellung, da sie größeren Wert auf eine beständige Beziehung bei vorehelichem Geschlechtsverkehr legten als Männer.


3.2. Die 68er Kulturrevolution

Wie man aus der vorangegangenen Studie von Packard entnehmen konnte, zeigten die Anfänge der sechziger Jahre einen kleinen, aber bedeutenden Wandel in der Einstellung zur Sexualität, gefolgt von Jahren des Protests gegen völlig erstarrte Strukturen und Lebensweisen einer Nachkriegsgesellschaft. Ihren Höhepunkt erreichte diese Protestbewegung aber erst im Jahre 1968, einem Jahr, das bis heute unter der Bezeichnung "Kulturrevolution" bekannt ist. Mit Slogans wie "Make love not war" ist diese Zeit durch Aufstände einer damals immer noch geschlossenen Gesellschaft gekennzeichnet, d.h. eine Gesellschaft mit noch immer starren, autoritären Strukturen. Bei diesen Aufständen standen die Befreiung des Körpers, der Sinnlichkeit und der Sexualität im Vordergrund. Reichs Schriften zur "sexuellen Revolution" wurden zum Programm.

3.2.1. Eine Untersuchung von Giese & Schmidt

Zu eben diesem Zeitpunkt, als in der Studentenschaft die traditionelle Sexualmoral brüchig wurde, setzte die empirische Jugend- und Studentensexualitätsforschung in der alten BRD ein. Eine der wohl wissenschaftlich repräsentativsten und bekanntesten Studien ist die von Hans Giese und Gunter Schmidt, die diese Untersuchung am Institut für Sexualforschung an der Universität Hamburg im Jahre 1966 durchführten.

Fragebögen wurden an insgesamt 6128 westdeutsche Studenten, davon 4626 an männliche und 1502 an weibliche, verschickt. Die Adressen der Befragten wurden dabei nach einem Zufallsverfahren zusammengestellt. Da die Rücksendequote bei etwa 59,8% lag, hatte man im Endeffekt die ausgefüllten Bögen von 2835 Männern und 831 Frauen vorliegen. Die Geschlechterverteilung der Stichproben entsprach genau den Verhältnissen in der Population aller Studenten. Was jedoch die Altersverteilung betraf, so waren die jüngeren Altersgruppen leicht unterrepräsentiert. Wohingegen verheiratete Studenten wiederum überrepräsentiert waren. Weiters war der Anteil der evangelischen Studenten im Vergleich zu den katholischen prozentuell höher. Diese Unterschiede in der Zusammensetzung der Stichprobe waren aber laut Giese & Schmidt nicht signifikant, da sie ohnehin nicht sehr groß waren.

Die Studie selber befaßte sich mit dem Thema, inwieweit das Sexualverhalten der Studierenden noch von traditionellen Standards und Normen bestimmt sei. Im Mittelpunkt des Interesses stand hier die voreheliche Sexualität. Giese & Schmidt konnten mit ihrer Studie globale Entwicklungstendenzen feststellen, nämlich eine neue Einstellung zu einer liberaleren Bewertung von vorehelichen sowie außerehelichen sexuellen Beziehungen, Homosexualität und verschiedenen Formen von sexueller Betätigung, wie Petting oder Masturbation.

Was die voreheliche Sexualität betrifft, so sprachen sich rund 90% aller Studierenden für "zuverlässig" oder "bedingt zuverlässig" aus. Nur eine Minderheit forderte voreheliche Keuschheit. Auch hinsichtlich des außerehelichen Geschlechtsverkehrs und der Homosexualität ließen sich überwiegend liberalere Einstellungen erkennen. (siehe Tabellen 3.2.1.a. und 3.2.1.b.) Während in etwa drei Fünftel aller Studierenden außerehelichen Geschlechtsverkehr als verwerflich bezeichnen, wird eben dieser von immerhin schon rund 40% als "zulässig" oder "bedingt zulässig" bezeichnet. Was die Homosexualität betrifft, so beurteilen diese schon drei Viertel aller männlichen und weiblichen Studenten als (bedingt) zulässig.


Außerehelicher GV Frauen    

Männer                                 

Frauen

zulässig



bedingt zulässig



unzulässig



keine Angabe




außerehelicher GV Männer

Männer

Frauen

zulässig



bedingt zulässig



unzulässig



keine Angabe




Tabelle 3.2.1.a. Einstellung zum außerehelichen Geschlechtsverkehr (GV) im Jahr 1966 (Clement, 118)


Homosexueller Kontakt

Männer

Frauen

zulässig



bedingt zulässig



unzulässig



keine Angabe




Tabelle 3.2.1.b. Einstellung zur Homosexualität im Jahr 1966 (Clement, 118)

Diese Zahlen waren sehr wohl Indizien dafür, daß sich die Studierenden in ihren sexuellen Standards erheblich von den institutionellen Sexualnormen entfernt hatten. Die reproduktive Sexualideologie hielt der fortschreitenden Entwicklung nicht mehr länger stand. Die Begrenzung der Sexualität auf die Ehe, die nur in der Fortpflanzungsfunktion ihren Sinn hatte, war nicht mehr gegeben.

Die studentische Sexualmoral in den 80er Jahren

Eine Untersuchung von Clement et al.

1981 wurden aus insgesamt fünfzehn deutschen Universitäten Student(inn)en bezüglich ihrer sexuellen Einstellungen befragt. Wieder wurden Fragebögen mittels eines Zufallsverfahren an dieses Mal 5598 Studenten und Studentinnen verschickt. Die Rücksendequote lag bei 36,6%, und somit hielten Clement et al. 1922 ausgefüllte Fragebögen in ihren Händen, 1106 von männlichen und 816 von weiblichen Student(inn)en. Die weiblichen Studenten waren zwar proportional leicht überrepräsentiert, was aber auf Grund einer geschlechterspezifischen Analyse der Fragebögen keine maßgebliche Verzerrung der Testergebnisse zur Folge hatte.

Die Hauptergebnisse dieser Vergleichsstudie von 1981 von Clement et al. waren folgende: Geschlechtsverkehr als solcher hatte sich von der Institution Ehe fast zur Gänze losgelöst. Voreheliche Sexualbeziehungen, die - wie bereits festgestellt - ohnehin 1966 fast durchgängig toleriert wurden, glichen bei dieser Untersuchung von 1981 schon mehr einer ehelichen Sexualität. So kam es bei einem Item, das das Koitusvorkommen nach Familienstand untersuchte, zu folgenden Ergebnissen: Von 950 unverheirateten männlichen Studenten hatten 78%, von 553 unverheirateten weiblichen Studentinnen 83% vorehelichen Geschlechtsverkehr. Das zeigt also, daß in den 80er Jahren voreheliche Sexualbeziehungen nicht mehr nur moralisch akzeptiert wurden, sondern zu einer überwältigenden Mehrheit auch realisiert wurden. Weiters ließ sich auch ein Anstieg bei der Zahl der koitusaktiven Studierenden bemerken, denn sowohl Männer als auch Frauen hatten in der Mehrzahl mehrere Geschlechtspartner.

Auch bei außerehelichen¹ Beziehungen trat ein enormer Liberalisierungsprozeß ein. (siehe Tabelle 4.a.) Mehr als die Hälfte der Studierenden toleriert außereheliche Sexualbeziehungen. "Nur jeder vierte


¹ Das Attribut 'außerehelich' sei hier so zu verstehen, als daß es sich auch auf Beziehungen außerhalb fester Partnerschaften bezieht

Befragte hält sexuelle Treue für notwendig, eine große Minderheit (sic!) hat Partnerschaftsvorstellungen jenseits der treuen Monogamie, etwa jeder dritte hat sexuelle "Außenbeziehungen" gehabt, die nur von wenigen im nachhinein für falsch gehalten wurden." (Clement, 77)


Außerehelicher GV Frauen

Männer

Frauen

zulässig



bedingt zulässig



unzulässig



keine Angabe



 

Außerehelicher GV Männer

Männer

Frauen

 

 

zulässig



 

 

bedingt zulässig



 

 

unzulässig



 

 

keine Angabe




Wie man sehen konnte

many girls changed quite radically. Girls feel they

have an entitlement to engage in sexual activity,

including sexual intercourse, at whatever age seems

appropriate to them. In Rubin's survey no teenage

girls talk of 'saving themselves' for an anticipated

engagement and marriage. (Giddens, 10)


Sexualität im Wandel: Ein Vergleich 1966 - 1981

Auf Grund der Replikationsstudie von Clement et al. war es möglich, Veränderungen im sexuellen Verhalten und in der sexuellen Einstellung von Studenten festzustellen. Im Allgemeinen läßt sich sagen, daß im Jahr 1981, gegenüber 1966, erheblich mehr Studenten Koituserfahrung hatten, ganz gleichgültig, ob es sich um vorehelichen oder außerehelichen Geschlechtsverkehr oder um Geschlechtsverkehr in einer Beziehung selber handelte. Nun aber einige Teilergebnisse, 1981 im Vergleich zu 1966:

a. Was den ersten Geschlechtsverkehr betrifft, so findet dieser früher statt. Hatten 1966 nur 20% der 18jährigen Männer Koituserfahrung, so verdoppelte sich die Zahl innerhalb von eineinhalb Jahrzehnten auf 45%. Bei den Frauen ist die Zunahme noch drastischer, da hier ein gewaltiger Sprung von 11% auf 60% geschah, was fast einer sechsfachen Quote entspricht.

b. Aber auch die Frequenz der koitusaktiven Studenten ist stark gestiegen.

(siehe Tabelle 4.2.a.)

Männer 1966

Männer 1981

Frauen1966

Frauen 1981


Häufigkeit/Monat






Tabelle 4.2.a. Koitus: Häufigkeit (in den letzten 12 Monaten) (Clement, 110)

c.   Betrachtet man die Anzahl aller Geschlechtspartner seit dem ersten Koitus, wird es einen auch hier nicht überraschen, völlig verschiedene Quoten vorzufinden, bei den Frauen im Besonderen. So haben zum Beispiel nur mehr ein Viertel der Frauen einen einzigen Geschlechtspartner, im Gegensatz zu 1966, wo es noch 49% waren.

d. Interessant wird es dann, wenn man den Gründen der Koitusabstinenz² nachgeht. (siehe Tabelle 4.2.b.) Laut Tabelle scheinen moralische Gründe, sowie Angst vor einer ungewollten Schwangerschaft kaum mehr eine Rolle zu spielen. Das Hauptmotiv, hingegen, ist das Fehlen eines passenden Partners. Koitusabstinenz scheint somit keinen ideellen oder moralischen Grund mehr zu haben.

Motive für Koitusabstinenz

Männer 1966

Männer 1981

Frauen 1966

Frauen 1981

kein Interesse





Moral





Angst vor Versagen





Furcht vor Schwangerschaft





kein geeigneter Partner





Partner lehnt ab






Tabelle 4.2.b. Motive für Koitusabstinenz (Clement, 114)


² Hier muß man anmerken, daß der Prozentsatz der koitusabstinenten Student(inn)en ohnehin schon von 35% auf 14% bei den Männern und von 44% auf 9% bei den Frauen zurückgegangen ist.

In weit mehr Bereichen, als es mir überhaupt möglich ist aufzulisten, haben sich signifikante Anderungen im sexuellen Verhalten und den sexuellen Einstellungen der Studenten zur Sexualität vollzogen. Traditionelle Werte, wie heiraten, Kinder haben ober sexuell treu sein, werden immer seltener angestrebt. "Erlaubt ist was Spaß macht" scheint das Motto der 80er Jahre zu heißen. Und wie sagte doch Edward Carpenter sogleich: "Sex goes first, and hands eyes mouth brain follow; from the midst of belly and thighs radiates the knowledge of self, religion and immortality." (Giddens, 158) Der englische Soziologe Jeffrey Weeks meint den Hintergrund dafür zu kennen.

Zum liberalen Diskurs der sechziger und siebziger, der den

Wegfall vieler Sexualverbote besiegelte, ist in den achtziger

Jahren ein Equal rights- Diskurs, ein Selbstbestimmungskurs,

hinzugetretenDieser Diskurs bringt einen neuen Sexualkodex

hervor, einen Kodex, der nicht alte Verbote neu installieren will,

sondern der den sexuellen Umgang friedlicher, kommunikativer,

berechenbarer, rationaler verhandelbarregeln will. Hatten vor

dreißig Jahren die Studentendas Gespür für die gesellschaftlich

möglichen, fälligen, ja notwendigen Umbrüche der Sexualverhältnisse

(sie waren die Hauptakteure des liberalen Diskurses), so sind es

heute (im Selbstbestimmungskurs) die Frauen und die

Frauenbewegung. (Schmidt, 8)

Die studentische Sexualmoral der 90er Jahre

Eigene Befragung

Nachdem Clements Studie aus dem Jahr 1981 stammt und mir keine zu einem späteren Zeitpunkt durchgeführten Untersuchungen bekannt waren, kam mir der Gedanke, eine eigene Befragung auf die Beine zu stellen. Ich verteilte Fragebögen an insgesamt 42 Studenten(inn)en der Universität Wien, wovon 19 männlich und 23 weiblich waren und befragte sie bezüglich ihres sexuellen Verhaltens und ihrer Einstellungen. Mir ist natürlich klar, daß diese Befragung nicht als Replikationsuntersuchung dienen kann, da sowohl das Ausmaß der Befragten als auch das der Fragestellungen, den Studien von Giese & Schmidt und Clement et al. nicht gerecht werden kann. Dies anzustreben war auch nicht der Zweck dieses "Unternehmens", da eine solche Untersuchung sowohl den zeitlichen als auch finanziellen Rahmen eines Seminars gesprengt hätte. Meine Absicht war lediglich, eine Tendenz feststellen zu können, eine Tendenz, die zeigt, in welche Richtung sich die Student(inn)en der 90er Jahre bewegen. Schreitet der Liberalisierungsprozeß immer weiter voran, alte tradierte Partnerschaftsperspektiven hinter sich lassend, oder schlagen die Hochschüler der 90er Jahren einen gar gegensätzliche Weg ein und werden nach dem Motto "Zurück zu alten Werten" wieder zur Familie, Treue und festen Beziehungen bekehrt?

Zu dem sich im Anhang befindenden Fragebogen, hier nun einige in einer Tabelle zusammengefaßte Ergebnisse.

Prozentsatz aller Studenten

vorehelicher GV

JA: 97,6%

WN: 2,4%

N: 0%

Ausübung vorehelichen GV

JA: 97,6%

WN: 0%

N: 2,4%

Außerehelicher GV

JA: 35,7%

WN: 26,2%

N: 38,1%

Geschlechtspartner der letzten 2 Jahre













GV: Geschlechtsverkehr     WN: Weiß nicht N: Nein


Eine solche Untersuchung bringt natürlich immer spezielle methodische Probleme mit sich. So muß man sich daher die Frage stellen, ob die Personen, die sich für die Teilnahme an der Befragung bereit erklärten, für eine bestimmte sexuelle Einstellung oder ein bestimmtes sexuelles Verhalten prädestiniert waren; ob also ein Zusammenhang zwischen der Bereitschaft teilzunehmen und dem befragten Verhalten besteht.

Was mir in diesem Zusammenhang als noch wichtig erscheint und aus diesem ersten Punkt folgert, ist die Frage nach der Zuverlässigkeit der Angaben der Befragten. Antworten diese wirklich wahrheitsgemäß oder gar im Sinne sozialer Erwünschtheit? Untertrieben manche ihre Antworten, weil sie sich sozial anpassen wollten oder trat gar das Gegenteil ein: ein maßloses Übertreiben sexueller Erfahrungen?

All dies stellt die Validität einer Untersuchung, selbst in einem solch kleinen Rahmen, stark in Frage. Leider wurde mir erst im Nachhinein klar, daß es bei einer solchen Befragung viel mehr zu berücksichtigen gibt, als im Vorhinein angenommen. Die soziale Erwünschtheit von Antworten, die Verweigererquote, sowie Verweigererfehler, die Anzahl der Befragten und die Präzision der Fragen tangiert den Test signifikant und kann bei Nichtbeachtung Verzerrungen oder Verfälschungen zur Folge haben. Dies ist auch der Grund, warum ich nicht weiter auf die oben angeführten Zahlen eingehen möchte, und es dem Leser somit freistelle, sich selbst ein Bild zu machen.

Konklusion

Mit einer Welle von Liberalisierungsprozessen haben sich also die Moralstrukturen seit den 30er Jahren gehörig verändert. Restriktiv wurde mit permissiv substituiert, Öffentlichkeit nahm den Platz von Verschwiegenheit ein. Öffentlichkeit! Wenn etwas in den letzten 70 Jahren irgendwie publik geworden ist, dann zweifelsohne Sexualität. Sexualität ist in unserer heutigen Gesellschaft zu Ware geworden. Es hat sich ein eigener Markt entwickelt, was nicht zuletzt der Ausweitung der visuellen Medien (Fernsehen, Internet, etc.) zu verdanken ist, die eine Partizipation fast aller ermöglichen. Beispiele dafür gibt es nach Reimann in unserer "anything-goes" (Reimann, 51) Gesellschaft genug.

Erika BERGER gibt im privaten Fernsehsender RTL Ratschläge

für alle Lebens"lagen", die Sendung heißt "Der flotte Dreier",

hier wird alles voyeuristisch-betuchlich vorgeführt: Swinger,

Callboys, Exhibitionisten; Margarete SCHREINEMAKER bietet

durch zwei "Experten" "Telefonsex live" und bittet um "nur ernstgemeinte

Anrufe"; in "Mona Lisa", einer Frauensendung, breitet eine

sadomasochistische Theologin ihre Erlebnisberichte aus, Szenarios

werden gezeigt; in "Boulevard Bio" läßt eine Pornodarstellerin,

die eigenen Angaben zu Folge mit mindestens dreitausend Männern

geschlafen hat, zum Walzertakt ihre Brüste wippen; in "Tutti Frutti"

schaukeln steril schöne Barbie-Puppen ihr Fleisch im 3D-Sichtformat

über den Bildschirm. Die Darstellung des Sexus bis hin zum dezent

eingeblendeten "soft-fuck" ist universell geworden, läuft in allen Kanälen.

(Reimann, 51)

Es wird also ständig über Sexualität gesprochen, bedauerlicherweise aber all zu oft im Kontext von Gewalt, Ausbeutung und Entwürdigung. Themen, wie die Zunahme der sexuellen Gewalt gegenüber Frauen und Kindern, Pornographie, Sexismus im Alltag und in den Medien, Inzest, sexueller Mißbrauch, die weltweite Ausbreitung des AIDS-Virus, etc. bestimmen immer wieder die öffentliche Diskussion. Aber nicht genug damit, daß Sexualität fast ausschließlich mehr mit Gewalt, Zwang und Machtausübung in Verbindung gebracht wird, so macht man sich darüber auch noch lustig, wie der folgende Comicstrip aus einer bekannten deutschen Sexzeitschrift zeigt.

Mit einem abschließenden Gedankengang von Jean Baudrille aus seinem Buch "Von der Verführung" möchte ich einen letzten und somit einzigen Appell an den Leser richten: Sich dieses Zitat und besonders den letzten Satz zu Herzen zu nehmen und zu entscheiden, inwiefern man etwas für sich selber ändern kann und will.

Im Porno uneingeschränkter Triumph des obszönen Körpers,

(bis) hin zur Tilgung des GesichtsGewisse Filme sind nichts

anderes als eine lautstarke Untermalung der Eingeweide in

koitaler Großaufnahme: selbst der Körper ist aus diesen Filmen

verschwunden, hat sich in die exorbitanten Einzelheiten zerstreut.

Was für ein Gesicht auch immer, es wäre hier fehl am Platz

Der Sex wird vorgeführt, wie man ein Beweisdokument vorlegt

alles soll gesagt, akkumuliert, erfaßt, ausgewählt werden: so ist

der Sex im Porno beschaffen, aber so funktioniert allgemein

betrachtet unsere ganze Kultur, deren natürliche Seinsform die

Obszönität ist: eine Kultur des Zeigens, der Vorzeigens, der

produktiven Monstrosität. (Baudrille, 53ff in Schmidt, 85-86)

7. Anhang

Fragebogen zum

Thema Sexualität

Im Zuge meiner philosophischen Seminararbeit über den Wandel der Sexualmoral der Studenten

im 20. Jahrhundert, bitte ich Sie, diesen Fragebogen ehrlich und vollständig auszufüllen.

Diese Befragung gewährleistet absolute Anonymität.

Alter:

Geschlecht:          männlich weiblich

Familienstand:     ledig verheiratet geschieden verwitwet

Kinder: Ja Nein

Sind Sie religiös:     Ja Nein

1. Leben Sie in einer festen Beziehung?

Ja ž                                          Nein


2. Wenn Ja, wie lange sind Sie schon mit Ihrem derzeitigen Partner zusammen?

Weniger als 1 Monat ž        6 bis 12 Monate

1 bis 3 Monate ž                   1 bis 2 Jahre

3 bis 6 Monate ž                   2 Jahre oder länger

3. Welche Eigenschaften sind Ihrer Meinung nach in einer Partnerschaft von Bedeutung?

(Kreuzen Sie die drei wichtigsten Eigenschaften an.)

Liebe ž Leidenschaft ž Sexuelle Erfüllung

Treue ž Zärtlichkeiten ž Dauerhaftigkeit

Freiheit ž                                 Reden können ž Distanz

4. Halten Sie Sex in einer Beziehung für wichtig?

sehr wichtig                          neutral ž unwichtig

wichtig                               sehr unwichtig


5. Was halten Sie von vorehelichem Geschlechtsverkehr?

Bin dafür                             Bin dagegen Weiß nicht

6. Praktizieren Sie vorehelichen Geschlechtsverkehr?

Ja ž        Nein

7. Wie viele weibliche/männliche Geschlechtspartner hatten Sie in den letzten zwei Jahren?

Keine 3 bis 5

6 bis 8

9 und mehr

8. Sind Sie mit Ihrem derzeitigen Sexualleben zufrieden?

Ja         Nein ž

9. Was halten Sie von außerehelichem Geschlechtsverkehr?

Bin dafür                             Bin dagegen Weiß nicht

10. Hat AIDS Ihr Sexualverhalten verändert?

Ja, grundlegend (bin vorsichtiger)

Nein, überhaupt nicht (was Spaß macht ist erlaubt)

11. Haben Sie aus Angst vor AIDS weniger Sexualpartner?

Ja         Nein


8. Bibliographie


Brinkmann, E., et al., Das große donauland Gesundheitsbuch. Ein umfassendes

Nachschlagewerk für gesunde und kranke Tage (München, 1968).

Clement, Ulrich, Sexualität im sozialen Wandel. Eine empirische Vergleichsstudie

an Studenten 1966 und 1981 (Stuttgart, 1986).

Giddens, Anthony, The Transformation of Intimacy. Sexuality, Love and Eroticism

in Modern Societies (Cambridge, 1992).

Giese, Hans; Gunter Schmidt, Studentensexualität. Verhalten und Einstellung.

Eine Umfrage an 12 westdeutschen Universitäten (Hamburg, 1968).

Reimann, Bruno W., Hans, Bardeleben, Permissive Sexualität und präventives

Verhalten (Berlin, 1992).

Schmidt, Gunter, Das Verschwinden der Sexualmoral (Hamburg, 1982).




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