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Hausarbeit
Die Institutionalisierung der Häftlingsstrafen in
nationalsozialistischen Konzentrationslagern
Inhalt
I. Einleitung
II. Das Modell Dachau:
Von den 'Sonderbestimmungen' zur Strafordnung
III. Die Strafformen des institutionalisierten Systems
IV. Theorie und Praxis der ´Disziplinar- und Strafordnungen´
V. Der Zweck der Strafinstitutionalisierung in den
nationalsozialistischen Konzentrationslagern
VI. Anhang
VII. Literaturverzeichnis
I. Einleitung
Seit der Einrichtung der frühen, 'wilden' Konzentrationslager kurz nach der nationalsozialistischen Machtübernahme 1933[1] unter Aufsicht von SA, SS oder Polizeibehörden waren die Inhaftierten in zunehmenden Maße und besonders in den Lagern der SS dem Willen ihrer Aufseher ausgesetzt. Obwohl schon der reine Aufenthalt und die Arbeit in einem Konzentrationslager Strafe genug war, sahen sich die Gefangenen anfangs einem inoffiziellen, willkürlichen Strafensystem gegenüber. Bestimmte Regeln oder gar Vorschriften waren nicht vorhanden und erschwerten somit eine unter diesen Umständen vernünftige Verhaltensweise zur Vermeidung von Bestrafungen. Erst als es 1933 aufgrund von vier ungeklärten Mordfällen im KL Dachau zu Untersuchungen der Staatsanwaltschaft kam und es Probleme mit der Justiz gab, die sogar zur Absetzung des Dachauer Kommandanten Wäckerle führten, beauftragte der RFSS Himmler den SS-Oberführer Theodor Eicke, eine Straf- und Lagerordnung zur Systematisierung der Schutz- und Vorbeugungshaft zu erarbeiten, um u.a. einen strafrechtlich korrekten Haftvollzug nachweisen zu können.
Zu hinterfragen ist jedoch, welchen zusätzlichen Zwecken eine solche Institutionalisierung des Strafsystems dienen konnte und besonders, ob die Verfügungen einer derartigen Strafordnung durch das auf Häftlingserniedrigung und Haß getrimmte SS-Bewachungspersonal in der Praxis vorschriftsmäßig ausgeführt wurden oder überhaupt ausgeführt werden sollten. Zu diesem speziellen Thema sind in der Fülle der Literatur über die nationalsozialistischen Konzentrationslager nur relativ wenig Bücher zu finden, die sich eingehender damit beschäftigen, hervorzuheben sind dazu die Standardwerke von Eugen Kogon, Falk Pingel, Johannes Tuchel oder Martin Broszat. Weitere, wenn auch weniger detaillierte Informationen findet man in zahlreichen anderen Büchern und Häftlingsberichten, die sich im Bereich der Konzentrationslager bewegen. Aufschlußreich sind auch die zahlreichen, erschöpfenden Dokumente aus dieser Zeit.
Diese Arbeit stellt zunächst die historische Entwicklung der Institutionalisierung einer Strafordnung in den NS-Konzentrationslagern dar, geht folgend auf die Form der in dieser Ordnung erlassenen Strafen ein und beschreibt schließlich den praktischen Umgang der Aufseher mit dem offiziellen Strafsystem und die Bedeutung desselben für die Häftlinge, die täglich mit jener Ordnung konfrontiert wurden.
II. Das Modell Dachau:
Von den 'Sonderbestimmungen' zur Strafordnung
Das Konzentrationslager Dachau, das im März 1933 errichtet wurde, glich in den ersten Monaten seines Bestehens den meisten der sogenannten 'wilden KL'. Das bedeutete, daß die Häftlinge in hohem Maße der Willkür und dem Terror der SS-Wachmannschaften ausgesetzt waren, für die - wenn überhaupt - nur sehr allgemeine Dienstvorschriften bestanden. Die von der Lagerleitung unter Dachaus erstem Kommandanten Wäckerle geförderte Verhaltensweise der Wachmannschaft, den wehrlosen Häftlingen in jeglicher Form ihre Macht spüren zu lassen, konnte sich so ungehindert entfalten.[6]
Als 1933 die Staatsanwaltschaft des Landgerichtes München II wegen vier in der zweiten Maihälfte 1933 in Dachau ermordeter Häftlinge Ermittlungen anstellte, stellte sich u.a. heraus, daß Wäckerle mehrere 'Sonderbestimmungen' für die Gefangenen schriftlich festgelegt hatte. Diese waren ein erster, offenbar von Himmler inspirierter Versuch, die Behandlung der Häftlinge im Lager in ein System von Strafen und Strafklassifikationen zu pressen. Nach den Sonderbestimmungen galt im Lager das 'Standrecht', bei Fluchtversuchen sollte ohne Anruf von der Waffe gebrauch gemacht werden. Weiterhin wurden zahlreiche strafbare Handlungen aufgezählt, die zumeist mit nach der Schwere des Vergehens gestaffeltem Arrest bis zu drei Monaten geahndet wurden. Strenger Arrest bedeutete dabei Einzelhaft in einer vollkommen dunklen Kammer bei Wasser und Brot. Der §8 der 'Sonderbestimmungen' legte darüberhinaus bestimmte mit dem Tode zu bestrafende Vergehen fest, wozu tätliche Widersetzung, Anstiftung zum Ungehorsam oder der Versuch dazu zählten. Schließlich war auch eine interne Klassifizierung der Gefangenen in drei Klassen vorgesehen, die sich in Unterbringung und Verpflegung voneinander unterschieden. Zunächst sollten die meisten Häftlinge in die mittlere, 'normale' Klasse II eingestuft werden, um dann je nach Verhalten in die bessere Klasse I oder die Strafklasse III überführt zu werden. Die erste Klasse galt als Entlassungsstufe, in die die Häftlinge bei guter Führung nach drei Monaten gelangen konnten. Die dritte Stufe war besonders für 'Bonzen', 'Juden' und Gefangene, 'deren Vorleben eine besonders scharfe Beaufsichtigung erforderte', vorgesehen und hatte eine Entlassungssperre und Drohung der physischen Vernichtung zur Folge. Den Häftlingen wurde die Einstufung nicht bekanntgegeben, sie konnte nur indirekt aus den Haftbedingungen erschlossen werden.
Die Gerichtsbarkeit wurde ausnahmslos durch den Kommandeur des Lagers ausgeübt, das Verfahren für die Aburteilung der mit der Todesstrafe bedrohten Fälle (§8) sah wie folgt aus:
'Alle unter §8 fallenden Fälle werden durch ein Lagergericht abgeurteilt, welches sich zusammensetzt aus dem Kommandeur des Lagers, einem oder zwei von dem Lagerkommandanten zu bestimmenden Offizieren und einem der Wachtruppe angehörigen SS-Mann. Die Anklagebehörde wird ebenfalls von einem von dem Lagerkommandeur zu bestimmenden, der Lagerkommandantur angehörigen SS-Mann ausgeübt. Bei Stimmengleichheit entscheidet die Stimme des Vorsitzenden des Lagergerichts. Vorsitzender ist der jeweilige Kommandeur des Lagers.'
Obwohl die tatsächliche Anwendung der 'Sonderbestimmungen' und insbesondere das Verfahren der Verhängung lagereigener Todesstrafen in Dachau fraglich ist, zeigt sich doch ein erster Schritt in Richtung einer Systematisierung des Terrors und der Willkür gegenüber Gefangenen und einer Festlegung bestimmter Richtlinien in der Häftlingsbehandlung. Wie 1935 ein Berliner Generalstaatsanwalt jedoch zutreffend feststellte, bewegten sich die Dienstvorschriften und Erlasse außerhalb des zulässigen Rechts. Das Bestreben Himmlers, die Konzentrationslager als dem SS-Recht unterstellte Bezirke außerhalb der ordentlichen Justiz und der Strafgesetze zu organisieren, wird durch diese Vorgehensweise deutlich. Nachdem die Münchener Staatsanwaltschaft, der die 'Sonderbestimmungen' ausgehändigt worden waren, Ende Mai 1933 den bayrischen Justizminster ersuchte, Nachprüfungen bezüglich der Zulässigkeit dieser Bestimmungen, des Standrechtes und der Todesstrafe vorzunehmen, erhob sie am 1. Juni 1933 gegen den Lagerkommandeur Wäckerle, den Lagerarzt Dr. Nuernbergk und den Kanzleiobersekretär Mutzbauer von der Lagerkommandantur Anklage wegen Mordbegünstigung (Mordfälle der Häftlinge Nefzger, Schloß, Dr. Strauss und Haussmann). Himmler mußte den unhaltbar gewordenen Wäckerle absetzen, machte jedoch auch später zusammen mit den ihm unterstellten Lagerkommandeuren von ähnlichen Strafandrohungen gebrauch.[9]
Ende Juni 1933 begann eine neue Phase der Institutionalisierung eines KL-Strafsystems. Unter der Leitung des neuen Dachauer Kommandanten, SS-Oberführer Theodor Eicke, fand eine weitere Systematisierung der Häftlingsbehandlung und -bestrafung statt. Außerdem wurden detaillierte Dienstvorschriften für die Wachtruppe und eine Regelung der Kompetenzenverteilung erarbeitet. Dies kam u.a. in der am 1. Oktober 1933 erlassenen, zur 'Aufrechterhaltung der Zucht und Ordnung' dienenden ´Disziplinar- und Strafordnung für das Gefangenenlager´ und den ´Dienstvorschriften für die Begleitposten und Gefangenenbewachung´ zum Ausdruck. Die neue, dokumentarisch nur unvollständig überlieferte Disziplinar- und Strafordnung beinhaltete eine Vielzahl der Punkte und Prinzipien der ursprünglichen 'Sonderbestimmungen' Wäckerles. Der Lagerkommandant behielt nach wie vor die volle Strafgewalt und war nur dem Politischen Polizeikommandeur (Himmler) persönlich verantwortlich. Die neue Ordnung erklärte in den ersten beiden Paragraphen, daß in den Lagern das Standrecht gelte und bei Widerstand und Fluchtversuchen ohne Anruf von der Schußwaffe Gebrauch gemacht werden würde.
Ein abgestuftes System von Arreststrafen (8, 14, 21 und 42 Tage strengen Arrest) und eine Einzelhaft bei Wasser und Brot wurde ebenfalls beibehalten. Als neue, künftig in allen KL eingeführte Strafart kam die Prügelstrafe hinzu. Vorgesehen waren dabei 5 bis - in der Regel - 25 Stockhiebe, die auch zusätzlich zu einer Arresthaft angeordnet werden konnten. Um die Prügelstrafe als ordentlichen Strafvollzug darzustellen und der Willkür eines einzelnen Bewachers zu entziehen, mußte die Strafe laut Anordnung von Eicke vor der angetretenen Truppe der SS-Wachmannschaft, den Häftlingen und dem Lagerkommandeur bzw. Schutzhaftlagerführer von mehreren SS-Leuten (später auch Häftlingen) vollzogen werden, nachdem sie vom Inspekteur der KL genehmigt worden war. Die Ausführung dieser Strafe durch mehrere Peiniger sollte die Mißhandlung unpersönlich und anynom machen und die Angehörigen der Wachtruppe, die zu jener Aufgabe jederzeit kommandiert werden konnten, an eine solche Art des Strafvollzuges gewöhnen. Auch sah Eickes Disziplinar- und Strafordnung, wie schon die 'Sonderbestimmungen', für bestimmte Vergehen die Todesstrafe vor. Nach Paragraph 11, 12 und 13 wurde u.a. mit dem Tode bestraft, wer 'zum Zwecke der Aufwiegelung' politisiert oder sich mit anderen dazu zusammenfindet, gegnerische 'Greuelpropaganda' weitergibt, einen 'Posten tätlich angreift', den 'Gehorsam verweigert', Meuterei in irgendeiner Form oder vorsätzliche Sabotage betreibt. Die Todesstrafe wurde durch Erhängen oder Erschießen vollzogen. Die Ordnung sah auch ein Beschwerderecht vor, jedoch wurde, wer eine Beschwerde auf unwahre Behauptungen stützte, mit Schlägen und Arrest bestraft. So gestaltete sich dieses Recht für den sich beschwerenden Gefangenen eher zu einer Bedrohung. Die Aussage eines SS-Mannes hatte von vornherein ein Vielfaches an Gewicht und das Abstreiten einer solchen Behauptung hieß, den SS-Mann der Lüge zu bezichtigen, was sehr gefährlich war.
Bei der Schulung der SS-Wachtruppe wurde besonders betont, daß die Häftlinge mit äußerster, aber unpersönlicher und disziplinierter Härte zu behandeln seien. Der spätere Auschwitzer Kommandant Rudolf Höß berichtete von seiner Ausbildungszeit im KL Dachau unter Eicke 1934:
'Jede Spur von Mitleid zeige den ´Staatsfeinden´ eine Blöße [] Jegliches Mitleid mit ´Staatsfeinden´ sei eines SS-Mannes unwürdig [] Eicke hatte den Begriff ´gefährliche Staatsfeinde´ so eindringlich und überzeugend in seine SS-Männer hineingetrommelt, daß jeder, der es nicht besser wußte, fest davon durchdrungen war [] Eickes Absicht war, seine SS-Männer durch seine dauernden Belehrungen und entsprechenden Befehlevon Grund auf gegen die Häftlinge einzustellen, sie auf die Häftlinge scharf zu machen []'[14]
Um der Häftlingsbehandlung und -bewachung den Anschein eines streng reglementierten Vollzuges zu geben, wurde am 1. Oktober 1933 zusammen mit der Strafordnung auch eine Dienstvorschrift für Begleitposten und Gefangenenbewachung in Dachau eingeführt. In ihr war u.a. das Verfahren des Häftlingsappells, des militärisch geordneten Abmarsches der Häftlingskolonnen zur Arbeit, die Pflichten der Torwache und Begleitposten, der Kontrollen und sogar der Wortlaut einzelner Kommandos, der Abstand, den die Posten von den Häftlingen zu halten hatten, die Form der Ehrenbezeugung, die die Häftlinge leisten mußten, das Laden und Entsichern des Gewehres usw. detailliert ausgeführt und geregelt. Ausdrücklich hieß es:
'Den Begleitposten obliegt lediglich die Bewachung der Gefangenen. Sie richten ihr Augenmerk auf das Verhalten derselben bei der Arbeit. Träge Gefangene sind zur Arbeit anzuhalten. Streng untersagt ist jedoch jede Mißhandlung und Schikane. Ist ein Gefangener bei der Arbeit nachlässig und faul, oder gibt er freche Antworten, dann stellt der Posten den Namen fest. Nach Dienstschluß erstattet er Meldung. Selbsthilfe bedeutet Mangel an Disziplin [] Der SS-Mann hat Stolz und Würde zu zeigen [] Dem SS-Posten ist es verboten, außerdienstliche Gespräche mit Gefangenen zu führen []'[15]
Im Falle eines Anzeichens von Flucht oder Gefangenenmeuterei waren die Bestimmungen zum sofortigen Gebrauch der Schußwaffe besonders deutlich:
'Wer einen Gefangenen entweichen läßt, wird festgenommen und wegen fahrlässiger Gefangenenbefreiung der bayrischen politischen Polizei übergeben. Versucht ein Gefangener zu entfliehen, dann ist ohne Anruf auf ihn zu schießen. Der Posten, der in Ausübung seiner Pflicht einen Gefangenen erschossen hat, geht straffrei aus. Wird ein Posten von einem Gefangenen tätlich angegriffen, dann ist der Angriff nicht mit körperlicher Gewalt, sondern unter Anwendung der Schußwaffe zu brechen. Ein Posten, der diese Vorschrift nicht beachtet, hat seine fristlose Entlassung zu gegenwärtigen. Meutert oder revoltiert eine Gefangenenabteilung, dann wird sie von allen aufsichtsführenden Posten beschossen. Schreckschüsse sind grundsätzlich untersagt.'[16]
Der Zusatz 'ohne Anruf' legitimierte die Praxis, Häftlinge auch ohne Fluchtversuch erschießen zu können.[17] Obwohl es sich in derartigen Fällen von 'Erschießungen auf der Flucht' oder bei 'Widerstand' strafrechtlich eindeutig um Mord bzw. Totschlag handelte, stellten die zuständigen Staatsanwaltschaften in der Regel auch schon zu diesem Zeitpunkt die Ermittlungen ein und erhoben keine Anklage, obschon man sich in ausgedehnten Kreisen der Justiz des Unrechts durchaus bewußt war. In einem Berliner Fall einer Häftlingstötung im KL Columbia-Haus legt der Berliner Generalstaatsanwalt offen:
'Die Dienstvorschrift könne die Beschuldigten nicht entlasten. Da sie sich nicht als gesetzliche Bestimmung darstellt, kann sie die Rechtswidrigkeit des Handelns der Beschuldigten nicht bestreiten. Es handelt sich hier um ein bedauerliches Auseinanderklaffen von Dienstanweisungen und rechtlich Zulässigem.'
So wurde Dachau unter Eicke, der im Mai 1934 von Himmler beauftragt wurde, eine Neuorganisation und Vereinheitlichung der gesamten Konzentrationslager vorzunehmen, zum Modell für die anderen Konzentrationslager. Nachdem Eicke am 4. Juli 1934 zum 'Inspekteur der KL und SS-Wachverbände (SS-Totenkopfverbände)' ernannte worden war, übte er zusammen mit Himmler den stärksten Einfluß auf Organisation und Verhalten der SS-Wachtruppe aus und wurde auch rangmäßig den anderen engen Mitarbeitern Himmlers (Heydrich, Pohl) gleichgestellt.[18] Die von ihm erarbeitete Strafordnung und Dienstvorschrift des Bewachungspersonals wurde nachweislich auch von den anderen KL übernommen.
Während die 1933 in Dachau entwickelten allgemeinen Postenvorschriften dem Sinne nach bis Kriegsende galten , änderten sich bestimmte Vorschriften des Strafkataloges im Laufe der Zeit. Da die Vollstreckung der Todeststrafen, wenn sie nicht glaubhaft als Erschießung auf der Flucht oder infolge von Widerstand dargestellt werden konnten, zumindest in den ersten Jahren nach 1933 strafrechtlich von der Staatsanwaltschaft geahndet werden konnte, erließ Eicke selbst zu dieser Zeit eine 'geheime Gegenorder', wonach diese scharfen Strafbestimmungen in der Praxis nicht zur Anwendung gelangen und lediglich zur Einschüchterung der Häftlinge dienen sollten. Aufgrund der immer zahlreicher werdenden unnatürlichen Todesfälle in den Konzentrationslagern und der damit einhergehenden Bedenken der Justiz erließ im Oktober 1935 auch die Gestapo besondere Richtlinien für die KL, die die Kommandanten verpflichteten, nicht ärztlich einwandfrei festgestellte natürliche Tode umgehend bei der Staatsanwaltschaft anzuzeigen. Damit sollte der Willkür der Kommandanten zumindest in der Theorie ein Riegel vorgeschoben werden.
Aus einem Schreiben des Kommandanten des KL Columbia-Haus geht hervor, daß schon um 1935 die Lagerleiter nicht berechtigt waren, die schwersten Strafen eigenmächtig zu verhängen, selbst die Prügelstrafe mußte vom Inspekteur der KL genehmigt werden. Die willkürlichen Tötungen von Häftlingen wurden so in den Jahren des 'geregelten Schutzhaftvollzuges' zwischen 1935/36 und 1939 sporadischer, Mißhandlungen und Tötungen von Gefangenen durch SS-Wachmannschaften waren aber, wenn auch auf ein im Verhältnis geringeres Maß eingedämmt, durchaus keine Seltenheit.
Da die Konzentrationslagerhäftlinge seit Mitte 1941/42 in zunehmenden Maße in wichtigen Bereichen der Kriegswirtschaftsproduktion eingesetzt wurden, begann man seitens der SS aus eigenem Interesse heraus die auf Terror, Unterdrückung und Diskriminieung aufgebauten früheren Regeln des inneren Lagerbetriebes aufzulockern. Viele Schikanen und Strafarbeiten wurden eingeschränkt oder gar verworfen. Am 2. Dezember 1942 erfolgte von Himmler der Runderlaß an die Lagerkommandanten, daß die Prügelstrafe zukünftig nur als letztes Mittel anzuwenden sei, wenn andere Strafen, wie Arrest, Essensentzug oder Strafarbeit, wirkungslos geblieben seien oder falls eine besondere Abschreckung, z.B. bei Flucht oder Sabotage, beabsichtigt sei:
'Der RFSS hat darauf hingewiesen, daß die Prügelstrafe kein Instrument für [] Kommandeure, Aufsichtshabende oder Aufseherinnen ist, die zu faul und unfähig sind, zu erziehen [] Die bisher hier zur Genehmigung vorgelegten Strafverfügungen haben eindeutig gezeigt, daß der Sinn und Zweck der härtesten Lagerstrafen [Prügelstrafe] in den meisten Fällen nicht erkannt worden ist.'[23]
Seit 1942/43 wurde zum Zwecke der maximalen Produktivität der Häftlinge in den Betrieben sogar eine 'Prämien-Ordnung' festgelegt, die den Häftlingen bei guter Arbeitsleistung Vergünstigungen ermöglichte:
'Häftlinge, die sich durch Fleiß, Umsicht, gute Führung und besondere Arbeistleistung auszeichnen, erhalten künftig Vergünstigungen. Diese bestehen in Gewährung: 1. Hafterleichterung, 2. Verpflegungszulagen, 3. Geldprämien,
4. Tabakwarenbezug, 5. Bordellbesuch.'[24]
Im ganzen gesehen lief der massenhafte Einsatz von Zwangsarbeitern aus den KL jedoch auf einen rücksichtslosen Verschleiß der Häftlinge hinaus, da die psychischen und physischen Bedinungen, unter denen sie arbeiten mußten, einer Steigerung der Arbeitsleistung und Produktivität rigoros entgegenstanden. Die Steinbrüche von Mauthausen sind diesbezüglich ein Beispiel für eine vorsätzliche Vernichtung der Häftlinge durch Arbeit. Auch für die Zwangsarbeiter in den Farb- und Lackbetrieben der IG Farben oder in den Stollen des KL Dora-Mittelbau wurde eine Lebenserwartung von nur ungefähr sechs Monaten veranschlagt.
III. Die Strafformen des institutionalisierten Systems
'Die Strafarten, die verhängt wurden, bestanden in Essensentzug, Stehen auf dem Appellplatz, Strafarbeit, Strafexerzieren, Versetzung in die Strafkompanie, Kommandoverschlechterung, Stock- und Peitschenhieben,
Hängen an einen Baum oder Pfosten, in Arrest, Erschlagen, Erhängen, Erschießen []'[25]
Das Strafsystem in den KL war vielfältig und umfangreich, die Strafanlässe so weitgestreut, daß sich 'selbst alterfahrene Konzentrationäre wundern mußten, daß es überhaupt möglich war, den Dschungel von Strafen im KL lebend zu durchqueren.' Oftmals gab es jedoch keinen Ausweg für die Häftlinge, so daß über sie eine oder mehrere Strafarten verhängt wurden. Im folgenden sollen von diesen Strafarten einige der am häufigsten erlassenen dargestellt werden:
Die Prügelstrafe als eine der schwersten Lagerstrafen wurde auf einem sog. Bock vollzogen, einem tischähnlichen Holzgestell, auf dem der Verurteilte vor der gesamten Belegschaft des KL bäuchlings festgeschnallt wurde. Dabei lag der Kopf tiefer, das Gesäß hoch herausgespannt und die Beine unten nach vorne gezogen. Die 5-25 in einem Zeitraum von vierzehn Tagen bis zu viermal wiederholbaren Schläge wurden mit Stock, Peitsche oder Ochsenziemer verabreicht. In einem Rundschreiben vom 4. April 1942 verfügte der Chef der Amtsgruppe D die vom RFSS und Chef der Deutschen Polizei angeordnete Vorgehensweise, daß bei allen Schutz- und Vorbeugungshäftlingen, wenn das Wort ´verschärft´ hinzugesetzt sei, die Strafe auf das unbekleidete Gesäß zu erfolgen habe. Aufgrund 'sachkundigen' Vollzuges der Strafe durch SS-Scharführer und zeitweilig auch Häftlingen wurde den Verurteilten, die in einigen KL jeden Schlag laut mitzuzählen hatten, Rücken, Gesäß und nicht selten auch die Innereien (Nieren) zerfetzt, ohne das die dem Vorgang beiwohnenden Lagerärzte zugunsten der Gefangenen einschritten, wie sie es laut den Weisungen des SS-Strafvollzuges hätten tun müssen. Vielmehr marterten sie die Mißhandelten oftmals nach dem Strafvollzug durch Einpinseln der blutigen Wunden mit Jod erneut. Nach der Auspeitschung mußte der Bestrafte meist, 'zur Stärkung der Muskulatur', 50 bis 150 Kniebeugen machen und mit den Worten 'Herr Lagerführer, Häftling [Nr. xxx] fünfundzwanzig Hiebe dankend erhalten.' vor den Lagerführer treten. Viele Häftlinge erlitten nach einer Prügelstrafe schwere, bleibende Schäden oder starben an den Folgen der Bestrafung.
Die Versetzung in die Strafkompanie (Strafblock) war eine übliche Strafe für bestimmte Vergehen, und der Aufenthalt in diesem Block bedeutete nicht selten den sicheren Tod. Den isolierten Straf- oder 'Erziehungsblock' zeichnete eine 'verschärfte Disziplin' aus, eine Umschreibung für bestialische Grausamkeiten gegenüber den Häftlingen seitens der Wachmannschaften und auch Kapos. Die Strafkompanie hatte die schwersten Arbeitsbedingungen und die schlimmsten Kapos unter der Aufsicht des häufig brutalsten SS-Mannes. Strafkompanien arbeiteten hauptsächlich in Steinbrüchen, bekamen u.a. Portionenentzug, durften kein Geld empfangen und mußten häufig strafexerzieren. Die Häftlinge dieser Kompanien waren vorne und hinten auf ihrer Kleidung deutlich durch einen großen schwarzen Punkt gekennzeichnet, Fluchtverdächtige außerdem noch mit einem roten Kreis und von der Gestapo als besonders gefährlich eingestufte Gefangene zusätzlich mit einem IL (Im Lager), das besagte, daß der Häftling das Lager nicht verlassen durfte. Oft wurden den Strafkompanien auch ständig unter Aufsicht der SS stehende Sonderabteilungen angegliedert. Obwohl die Strafkompanien Anfang 1944 aufgrund einer Berliner Verfügung aufgelöst wurden, bleibt die allgemeine Befolgung dieser Order fraglich.
Häftlinge mit Arreststrafen wurden in die sogenannten 'Bunker' der KL eingewiesen, die offiziell als Zellenbau bezeichnet wurden. Die Art dieser Zellen war vielfältig und in den verschiedenen KL unterschiedlich. Die Bunker im KL Buchenwald lagen in einem Flügel des Torgebäudes und bestanden aus kleinen Betonzellen mit Holzpritschen zum Schlafen und hochgelegenen Fensterluken. In Dachau konnten die Eingesperrten in besonderen Zellen nur seitlich zusammengekauert liegen und wurden wie Hunde gefüttert. Die KL Sachsenhausen oder Auschwitz-Birkenau (Block 3, Lager BIb) verfügten über spezielle Stehzellen, in die gerade ein oder zwei Menschen in stehender Haltung hineinpaßten, die dann durch ein Drahtgitter in Gesichtshöhe mit vielerlei Scheußlichkeiten mißhandelt werden konnte. Oftmals wurden Gefangene auch beinahe bis zur völligen Erblindung in Dunkelhaft festgehalten, wozu besonders gern Intellektuelle verurteilt wurden. In jedem Fall mußten die zu Arrest verurteilten Häftlinge damit rechnen, in den Zellenblöcken von SS-Aufsehern auf das Übelste mißhandelt und gefoltert zu werden, da sie deren Willkür hilflos ausgeliefert waren. Die Arreststrafen gewährleisteten auch, daß man bei den Häftlingen eine Selbstmord herbeiführen oder ihn zum langsamen Sterben führen konnte. Zahllose Häftlinge haben die Bunker nicht mehr lebend verlassen.
Offizielle Hinrichtungen als Folge einer verhängten Todesstrafe, die wohl am häufigsten wegen Fluchtversuchs ausgesprochen wurde, fanden öffentlich vor den Augen aller Häftlinge und SS-Offiziere statt und wurden u.a. von deutschen Kapos, meist Kriminelle, durch Erschießen, Erwügen, Erhängen oder Vergiften vollzogen. Der Verurteilte wurde gefesselt und, teilweise in Begleitung einer spielenden Marschmusikkapelle, zum Hinrichtungsplatz gebracht. Dort bekam er das von Himmler selbst unterschriebene Urteil, in dem die Begründung und die erschwerenden Umstände bekanntgegeben wurden, zunächst auf deutsch, dann in seiner Sprache zu hören. Während des Vollzuges wurde die Bereitschaft der SS in steter Erwartung einer Revolte verschärft. Die Todesurteile verfehlten jedoch in einer Umgebung ständigen Mordes und Todes ihre von der SS angestrebte theatralische Wirkung der Abschreckung und Einschüchterung.
IV. Theorie und Praxis der ´Disziplinar- und Strafordnungen´
Die in Abschnitt II dieser Arbeit geschilderte Einführung einer ´Disziplinar- und Strafkordnung´ konnte und sollte den Eindruck erwecken, daß im Konzentrationslager Verhaltensvorschriften für Häftlinge und Wachpersonal existierten, die Terror und Willkür seitens der SS-Mannschaften verhinderten und die Haftbedingungen in einen rechtlichen Rahmen betteten. Demnach hätten in der Theorie die Gefangenen bei richtigem Verhalten straffrei bleiben können und wären vor Übergriffen geschützt gewesen. Dies war jedoch in keinster Weise der Fall, es trat, den Aufenthalt für die Häftlinge in den Lagern verschlimmernd, das Gegenteil dessen ein.[40] Während nach außen hin durch das Einbeziehen der Inspektion der KL ein scheinbar korrektes Strafverfahren vorgetäuscht wurde, regierte in den Lagern schlimmste Willkür. Zu den willkürlichen Bestrafungen und Mißhandlungen kam ein Recht vortäuschendes, offizielles Bestrafungssystem, so daß die Häftlinge häufig für ein Vergehen zweimal bestraft wurden. Neben die meist sofort ausgeführte Willkürstrafe seitens eines Postens oder Aufsehers trat später die nach einer Meldung verhängte, offizielle Strafe, die der Lagerkommandant ohne jegliche Untersuchung erließ oder genehmigte.
Meldungen wurden schon für geringste Vergehen geschrieben, unverhältnismäßig hart und oft willkürlich bestraft, außerdem wurden die Häftlinge, was durchaus von der SS beabsichtigt war, in hohem Maße verunsichert. Welchem Vergehen welches Strafmaß folgte, war anscheinend keinen Regeln oder gar der Strafordnung unterworfen, vielmehr war die Stimmung der bestrafenden Person oder die Häftlingskategorie ausschlaggebend.
Die Häftlinge waren ständig und überall den Schikanen ihrer Bewacher ausgesetzt, deren Brutalität, besonders in Lagern wie Auschwitz, unbeschreiblich war. Die kleinsten Vergehen oder auch nur - nach Ansicht der SS-Aufseher - falschen Verhaltensweisen wurden häufig mit dem Leben bezahlt, es gab für die Gefangenen in der Praxis keine normierten Regeln oder Formen. Durch Anordnung von Kollektivstrafen (beispielsweise Strafappelle oder Strafstehen) bei Verstößen gegen die Lagerordnung oder bei Häftlingsfluchten wurde für Vergehen einzelner oft das ganze Lager zur Verantwortung gezogen. Aufgrund von Nummernverwechselungen wurden zuweilen auch die falschen Häftlinge bestraft, doch da eine Rechtfertigung seitens des Gefangenen bedeutete, einen SS-Mann der Lüge zu bezichtigen, war eine solche ausgeschlossen.
Als Beispiel für Strafanlässe berichtet Kogon: 'Hände in den Hosentaschen bei Kälte, hochgeschlagener Kragen bei Regen und Wind, die geringfügigsten Kleidermängel [] Verletzung der Grußpflicht, wozu auch sogenannte schlechte Haltung gerechnet wurde, Betreten des Blocks während der Arbeitszeit [] zu langes Austreten beim Arbeitskommando [] das Aufheben von Zigarettenstummeln []' Zur Sabotage, die jedoch in dieser Form nicht (unbedingt) mit der Todesstrafe belegt war, zählte auch schon das Benutzen eines Papierstückes von einem alten Zementsack als Unterlage beim Steinetragen. Der Bettenbau in den Blocks, von der SS erfundene Diebstähle, der Appell oder die Arbeitskommandos, jede Situation diente den Wachmannschaften zu willkürlichen Maßnahmen gegen die Häftlinge. Nach Fluchtversuchen waren die Strafen gegen die Lagerbelegschaft besonders in den ersten Jahren so schrecklich, daß eine Flucht zumindest von den politischen Gefangenen Buchenwalds als 'nachteilig für die Gesamtheit' abgelehnt wurde. Es verwundert somit auch nicht, daß Häftlinge, die einen Mitgefangenen totgeschlagen hatten, in der Regel straffrei ausgingen.
Für die Willkür der Bewacher sehr zuträgliche Orte waren auch die in Kapitel III schon beschriebenen Bunker in den Zellenbauten. Die arrestierten Gefangenen waren vom Rest des Lagers abgeschnitten und hilflos ihren Peinigern ausgeliefert. Eugen Kogon berichtet von den Untaten des SS-Hauptscharführers Sommer in den Arrestzellen des KL Buchenwalds u.a.:
'Schon in der Nacht hörte ich deutlich ersticktes Schreien und Röcheln auf dem Gang. Am Morgen waren die Zellen alle leer. Am Boden beim Eingangsgitter und an den Wänden sah man überall frische Blutspuren, die ich abwaschen mußte. Stark verblutete Handschellen, an denen noch Fleischfetzen hingen, lagen im Spülbecken des Waschraumes, blutgetränkte Stricke hingen in den Gerätekammern [] Aufgrund dieses Zettels ließ Sommer den nackt ausgezogenen Häftling zum Beispiel die Hoden in abwechselnd eiskaltes oder siedendes Wasser hängen und pinselte sie, wenn sich die Haut in Fetzen löste, mit Jod ein, was natürliche wahnsinnige Schmerzen hervorrief [] Die 'einfachste' Todesart, die Sommer für einen Häftling wählte, war die, daß er dem Todeskandidaten einen Strick um den Hals legte und ihn eigenhändig am Heizkörper oder Fensterkreuz aufhängte. Viele Häftlinge wurden aber von Sommer auch einfach mit einem Dreikant-Eisen erschlagen. Ein Fall ist bekannt, wo er an beide Schläfen des Opfers eine eiserne Klemme ansetzte und sie so lange zuschraubte, bis die Hirnschale durch den Druck zerquetscht wurde. Aus dem Zellenfenster zu schauen, brachte für jeden Insassen den sicheren Tod []'[51]
SS-Männer wie Sommer hatte jedes Lager aufzuweisen.
V. Der Zweck der Strafinstitutionalisierung in den
NS-Konzentrationslagern
Aufgrund der geschilderten Umstände und der Praxis des Bestrafungssystems kann die für die Konzentrationslager offiziell dargestellte ´Disziplinar- und Strafordnung für Gefangene´ nur als eine Farce angesehen werden. Die Situation der Häftlinge verschlechterte sich deutlich nach der Institutionalisierung des Strafenkataloges, sie waren nun der Willkür ihre Aufseher und zusätzlich den offiziellen Strafen ausgeliefert. Nach dem Willen Eickes sollten die Strafbestimmungen die Gefangenen in doppelter Hinsicht treffen. Neben die Bedrohung mit den gefürchteten Lagerstrafen trat eine im Paragraphen 19 der Strafordnung dargelegte Herauszögerung der Haft um mindestens 4 Wochen pro verhängter Nebenstrafe bis hin zu einer Entlassungssperre für Häftlinge in Einzelhaft.[52] Um von den Vorgängen in den Konzentrationslagern keine Nachrichten mehr an die Öffentlichkeit gelangen zu lassen, wurden in den Paragraphen 8 und 11 - bei Androhung der Todesstrafe (§11) - entsprechende Verbote festgelegt. Offensichtlich hatte Eicke aus den Fehlern seines Vorgängers Wäckerle gelernt.
Weiterhin sollte die ´Disziplinar- und Strafordnung für Gefangene´ rechtliche Probleme mit der Justiz und der Öffentlichkeit verhindern und die eigentliche Funktion der nationalsozialistischen Konzentrationslager vertuschen: unter SS-Willkür stehende, rechtsfreie Zonen der Unmenschlichkeit und der Barbarei zur Isolierung und Vernichtung von Menschen, die auf irgendeine Weise nicht in das System des NS-Regimes paßten.
VI. Anhang
1. Einleitung der Dachauer ´Disziplinar- u. Strafordnung für das Gefangenenlager´ vom 1.10.1933
E i n l e i t u n g .
Im Rahmen der bestehenden Lagervorschriften werden zur Aufrechterhaltung der Zucht und Ordnung für den Bereich des Konzentrationslagers Dachau nachstehende Strafbestimmungen erlassen.
Diesen Bestimmungen unterliegen alle Gefangenen des K.L.D. vom Zeitpunkt der Einlieferung ab bis zur Stunde der Entlassung.
Die vollziehende Strafgewalt liegt in den Händen des Lagerkommandanten, welcher für die Durchführung der erlassenen Lagervorschriften dem Politischen Polizeikommandeur persönlich veranwortlich ist.
Toleranz bedeutet Schwäche. Aus dieser Erkenntnis heraus wird dort rücksichtslos zugegriffen werden, wo es im Interesse des Vaterlandes notwendig erscheint. Der anständige, verhetzte Volksgenosse, wird mit diesen Strafbestimmungen nicht in Berührung kommen. Den politisierenden Hetzern und intellektuellen Wühlern - gleichwelcher Richtung - aber sei gesagt, hütet euch, daß man euch nicht erwischt, man wird euch sonst nach den Hälsen greifen und nach eurem eignen Rezept zum Schweigen bringen. pp.[54]
2. Auszüge aus der Dachauer ´Disziplinar- und Strafordnung´
Mit 8 Tagen strengem Arrest und mit je 25 Stockhieben zu Beginn und am Ende der Strafe wird bestraft:
wer einem SS-Angehörigen gegenüber abfällige oder spöttische Bemerkungen macht, die vorgeschriebene Ehrenbezeugung absichtlich unterläßt, oder durch sein sonstiges Verhalten zu erkennen gibt, daß er sich dem Zwange der Zucht und Ordnung nicht fügen will.
wer als Gefangenen-Feldwebel, als Gefangenen-Korporal oder als Vorarbeiter die Befugnisse als Ordnungsmann überschreitet, sich die Rechte eines Vorgesetzen anderen Gefangenen gegenüber anmaßt, gleichgesinnten Gefangenen Vorteile in der Arbeit oder auf andere Weise verschafft, politisch anders gesinnte Mitgefangene schikaniert, falsche Meldungen über sie erstattet, oder sonstwie benachteiligt.
Mit 14 Tagen strengem Arrest wird bestraft:
Wer eigenmächtig ohne Befehl des Kompanieführers die für ihn bestimmte Unterkunft mit einer anderen vertauscht, oder Mitgefangene hierzu anstiftet odert verleitet, wer auslaufenden Wäschepaketen verbotene oder im Lager hergestellte Gegenstände beifügt, darin versteckt, oder in Wäschestücken usw. einnäht, wer Baracken, Unterkünfte, oder andere Gebäude außerhalb der vorgeschriebenen Eingänge betritt oder verläßt, durch Fenster oder vorhandene Öffnungen kriecht, wer in Unterkünften, Aborten und an feuergefährlichen Orten raucht, oder feuergefährliche Gegenstände an solchen Orten aufbewahrt oder niederlegt. Ist infolge Außerachtlassung dieses Verbots ein Brand entstanden, dann wird Sabotage angenommen.
Mit 14 Tagen strengem Arrest und mit 25 Stockhieben zu Beginn und am Ende jeder Strafe werden bestraft:
Wer das Gefangenenlager ohne Begleitschein verläßt, oder betritt, wer unbefugt sich einer ausmarschierenden Arbeitskolonne anschließt.
Wer in Briefen oder sonstigen Mitteilungen abfällige Bemerkungen über nationalsozialistische Führer, über Staat und Regierung, Behörden und Einrichtungen zum Ausdruck bringt, marxistische oder liberalistische Führer oder Novemberparteien verherrlicht, Vorgänge im Konzentrationslager mitteilt,
wer verbotene Gegenstände, Werkzeuge, Hieb- oder Stoßwaffen in seiner Unterkunft oder in Strohsäcken aufbewahrt.
Mit 21 Tagen strengem Arrest wird bestraft:
Wer staatseigene Gegenstände, gleich welcher Art, vom vorgeschriebenen Ort an einen anderen verschleppt, vorsätzlich beschädigt, zerstört, verschleudert, umarbeitet, oder zu einem anderen als vorgeschriebenen Zweck verwendet; abgesehen von der Strafe haftet nach Umständen der Einzelne oder die gesamte Gefangenenkompanie für den entstanden Schaden.
Mit 42 Tagen strengem Arrest oder dauernder Verwahrung in Einzelhaft wird bestraft:
Wer Geldbeträge im Lager ansammelt, verbotene Bestrebungen in- oder außerhalb des Lagers finanziert, oder Mitgefangene durch Geld gefügig macht, oder zum Schweigen verpflichtet,
wer Geldbeträge, die aus verbotenen Sammlungen der roten Hilfe stammen, sich schicken läßt oder an Mitgefangene verteilt,
wer einem Geistlichen Mitteilungen macht, welche außerhalb des Rahmens der Seelsorge liegen, Briefe oder Mitteilungen zur Weitergabe versteckt, den Geistlichen zu verbotenen Zwecken zu gewinnen sucht,
die Symbole des nationalsozialistischen Staates oder die Träger derselben verächtlich macht, beschimpft oder auf andere Weise mißachtet.
Wer im Lager, an der Arbeitsstelle, in den Unterkünften, in Küchen und Werkstätten, Aborten und Ruheplätzen zum Zwecke der Aufwiegelung politisiert, aufreizende Reden hält, sich mit anderen zu diesem Zwecke zusammenfindet, Cliquen bildet, oder umhertreibt, wahre oder unwahre Nachrichten zum Zwecke der gegnerischen Greuelpropaganda über das Konzentrationslager oder dessen Einrichtungen sammelt, empfängt, vergräbt, weitererzält, an fremde Besucher oder an andere weitergibt, mittels Kassiber oder auf andere Weise aus dem Lager hinausschmuggelt, Entlassenen oder Überstellten schriftlich oder mündlich mitgibt, in Kleidungsstücken oder anderen Gegenständen versteckt, mittels Steine usw. über die Lagermauer wirft, oder Geheimschriften anfertigt, ferner wer zum Zwecke der Aufwiegelung auf Baracken, Dächer und Bäume steigt, durch Lichtsignale oder auf andere Weise Zeichen gibt oder nach außen Verbindung sucht, oder wer andere zur Flucht oder zu einem Verbrechen verleitet, hierzu Ratschläge erteilt oder durch andere Mittel unterstützt, wird kraft revolutionären Rechts als Aufwiegler gehängt!
Wer vorsätzlich im Lager, in den Unterkünften, in Werkstätten, Arbeitsstätten, in Küchen, Magazinen usw. einen Brand, eine Explosion, einen Wasser- oder einen sonstigen Sachschaden herbeiführt, ferner wer am Drahthindernis, an einer Starkstromleitung in einer Schaltstation, an Fernsprech- und Wasserleitungen, an der Lagermauer oder sonstigen Sicherungseinrichtungen, an Heizungs- und Kesselanlagen, an Maschinen oder Kraftfahrzeugen Handlungen vornimmt, die dem gegebenen Auftrage nicht entsprechen, wird wegen Sabotage mit dem Tode bestraft. Geschah die Handlung aus Fahrlässigkeit, dann wird der Schuldige in Einzelhaft verwahrt. In Zweifelsfällen wird jedoch Sabotage angenommen. pp.
Arrest wird in einer Zelle, bei hartem Lager, bei Wasser und Brot vollstreckt. Jeden 4. Tag erhält der Häftling warmes Essen. Strafarbeit umfaßt harte körperliche oder besonders schmutzige Arbeit, die unter besonderer Aufsicht durchgeführt wird. Als Nebenstrafen kommen in Betracht:
Strafexerzieren, Prügelstrafe, Postsperre, Kostentzug, hartes Lager, Pfahlbinden, Verweis und Verwarnungen. Sämtliche Strafen werden aktlich vermerkt. Arrest und Strafarbeit verlängern die Schutzhaft um mindestens 8 Wochen, eine verhängte Nebenstrafe verlängert die Schutzhaft um mindestens 4 Wochen. In Einzelhaft verwahrte Häftlinge kommen in absehbarer Zeit nicht zur Entlassung.
Der Kommandant des Konzentrationslagers gez. Eicke
3. Auszug aus der Strafordnung des FKL Ravensbrück
(Bestraft wird)
wer sich am Drahthindernis zu schaffen macht, Gegenstände darüber oder hinüber wirft,
wer sich bei Alarm, soweit nicht anders befohlen wird, nicht sofort in seine Unterkunft begibt und dort Türen und Fenster schließt. Bei Feueralarm treten die Häftlinge, deren Unterkunft brennt, vor der brennenden Baracke an; alle übrigen Häftlinge verbleiben in ihrer Unterkunft,
wer unnötiger Weise lärmt und sich sonst laut benimmt oder die Nachtruhe stört, wer sich in lespischer Absicht anderen Häftlingen nähert, wer lespische Schweinereien treibt, oder solche nicht meldet.
wer seine Mithäftlinge belügt, bestiehlt oder mißhandelt,
wer Vorbereitungen zur Flucht trifft oder Mithäftlinge dazu zu verleiten sucht, oder solche nicht meldet, Fluchtverdächtig ist, wer ohne Aufseherin das Schutzhaftlager oder die Arbeitsstelle verläßt, die neutrale Zone betritt, oder sich am Draht zu schaffen macht,
wer sonst in irgend einer Form gegen die Lagerdisziplin, gegen die Ordnung und Sicherheit des Lagers verstößt,
Greift ein Häftling einen SS-Posten, eine Aufseherin oder sonstige Vorgesetzte an, bedroht er sie mit einem Gegenstand oder gibt er deutlich zu erkennen, daß er tätlich werden will, so wird sofort von der Schußwaffe Gebrauch gemacht ()
VII. Literaturverzeichnis
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Häftlingsberichte:
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Klüger, Ruth,
weiter leben. Eine Jugend, Göttingen 1992.
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Schreiben im KZ. Tagebücher 1940-1945. Bearb. v. Martina Dreisbach u. m. einem Geleitw. v. Rolf Wernstedt, Bremen 1992.
Vergl. Richardi, Hans-Günter, Schule der Gewalt. Die Anfänge des Konzentrationslagers Dachau 1933-1934, München 1983, 124f. Desgl. Broszat, Martin u.a., Anatomie des SS-Staates, München 61994, S. 363-364.
Pingel, Falk, Häftlinge unter SS-Herrschaft. Widerstand, Selbstbehauptung und Vernichtung im Konzentrationslager, Hamburg 1978.
Tuchel, Johannes, Die Inspektion der Konzentrationslager 1938-1945. Das System des Terrors, Berlin 1994.
Dies geschah jedoch längst nicht immer, oft wurden die Strafen von den jeweiligen Kommandanten eigenmächtig verhängt. Vergl. dazu Tuchel, a.a.O., S. 100.
S. Anhang Nr. 2, Auszüge aus der Dachauer Disziplinar- und Strafordnung, §6-19. In der ersten Zeit ist jedoch kein Fall bekannt, daß die Lagerführung von diesem Strafrecht Gebrauch gemacht hat. Vergl. dazu Pingel, a.a.O., S. 39.
In einem Runderlaß an die Lagerkommandanten vom 27. Juli 1943 übersandte der Inspekteur der KL, Richard Glücks, ein siebenseitiges Merkblatt als Grundlage für die Aufgaben und Pflichten der Wachposten. Das Schreiben entsprach jedoch inhaltlich weitgehend den alten Anweisungen Eickes.
Heike, Irmtraud/Pflock, Andreas, Geregelte Strafen, willkürliche Strafen und Massensterben, in: Füllberg-Stolberg, Claus (Hg.), Frauen in Konzentrationslagern: Bergen-Belsen/Ravensbrück, Bremen 1994, S. 241-249 sprechen von dreimal 25 Schlägen innerhalb weniger Tage.
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