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FAlschungen Über FAlschungen
aus:'Einladung ins Mittelalter' von Horst Fuhrmann
GlAubige Kritik und kritischer Glaube
Im SpAtmittelalter begannen humanistische Gelehrte, historische Texte in philologischer und theologischer Hinsicht kritisch zu prÜfen.
Die Konstantinische Schenkung1, sowie frÜhpApstliche Dekretalen2 wurden im 15. Jahrhundert als FAlschungen entlarvt.
Bereits im 12. Jh. reagierte die Amtskirche gestärt, als die Waldenser3 und denen zu Folge auch die Hussiten4, die 'Konstantinische Schenkung' ablehnten. Daraufhin wurden die Kritiker der Ketzerei bezichtigt. Sie hatten Inhalt und GÜltigkeit dieses Dokuments in Frage gestellt und dadurch angeblich die Grundlagen der Kirche bedroht.
Den Humanisten und Theologen des Mittelalters ging es jedoch meist nicht darum, historische †berlieferungen kritisch-neutral zu ÜberprÜfen, sondern ihre Vorgehensweise blieb noch weitgehend mittelalterlich, weil sie strikt dem christlichen Gottesglauben folgte .
Moderne 'Entzauberung' und postmoderne 'Wiederverzauberung' der Welt
Nach dem ersten Schritt, einer Emanzipation im Glauben, folgte der zweite Schritt: eine Emanzipation weg vom Glauben. Das war der Weg des Zeitalters der 'AufklArung', das Ende des Mittelalters, die beginnende Neuzeit.
FAlschungen sollten nicht mehr unerkannt bleiben, denn diese waren Zeichen des Unverstands und der Unvernunft. Kirchliche Dogmen5 verloren ihre Wirksamkeit. Voltaire6, einer der eifrigsten AufklArer. unterschrieb z.B. seine Briefe mit
den Worten: 'Ecrasez l«infame'! Das meint: 'Tilgt die Kirche und die Schande der
Unvernunft!'
Die Menschen der AufklArung wollten zu sich selbst finden und die Welt neu, d.h. richtiger entdecken. Sie wollten nicht blind den GlaubenssAtzen einer Kirche folgen, die ihre GlaubwÜrdigkeit zunehmend verlor. Wissenschaftler und Philosophen entwarfen stattdessen ein Bild vom Menschen und von der Welt, in dem nur noch rationale Erkenntnisse, messbare Wahrheiten und VernÜnftiges zAhlten.
In der Wissenschaft eräffneten sich neue Perspektiven und Hoffnungen auf eine
vollstAndige Durchschaubarkeit der Welt.
Laplace wollte keinen Gott mehr, der sich nicht beweisen lie§.
Das Newtonsche Zeitalter hatte die ganze Welt in Ma§ und Zahl gebracht. Max
Weber7 nannte dies spAter die 'Entzauberung der Welt'.
Der unbedingte Fortschrittsglaube aber schien nicht das vollstAndige GlÜck fÜr den modernen Menschen mit sich zu bringen.
Im dritten Schritt wendet sich der Mensch erneut der Verzauberung zu und wieder weg vom einfachen Rationalismus.
Nach L vy-Bruhls8 ist im Menschen neben dem rationalen Denken immer auch das
Irrationale mitangelegt.
Morris Berman9 versucht als Kontrapunkt zu der 'psychischen Entfremdung', wie er es nennt, bei Max Weber, eine neue SpiritualitAt zu finden, die von fernästlicher ReligiositAt beeinflu§t ist und sich von einer mechanistischen Gesellschaft abwendet.
Es geht dabei gar nicht mehr nur um richtige oder falsche Erkenntnis, sondern um die ErtrAglichkeit oder UnertrAglichkeit der Welt und um die Sehnsucht des Menschen nach einer häheren Wahrheit.
In diesem Vakuum tummeln sich viele Anbieter von Heilslehren. Religiäse, politische und wissenschaftliche Ideologien bringen ein neues 'Mittelalter' mit sich. 'Beweisbarkeit ist ein schwAcherer Begriff als Wahrheit', wie Hofstadter10 anmerkt.
LehrstÜck 'Mittelalter': die Wahrheit bestimmt das System
Zu allen Zeiten, in allen Gesellschaften, sogar unter Naturwissenschaftlern ist die Bereitschaft, sich betrÜgen zu lassen, vorhanden: 'Mundus vult decipi'.
Ob 'fiktive Wirklichkeiten' von der Gestalt und Grä§e Roms oder
aufsehenerregende chinesische Kaisergeschichten schlicht erfunden werden, oder ob Konrad Kujau mit seinen Adolf-Hitler-TagebÜchern die Welt hinter«s Licht fÜhrt, ob es die Konstantinische Schenkung im MA oder die neuzeitliche Verebungslehre des sowjetischen Biologen Lyssenko ist, in all diesen TAuschungen soll die Richtigkeit von der Stimmigkeit im System herrÜhren.
Als LÜgeneinheit kännte man die BetrugsstArke definieren, die z.B. unsere
Gesellschaft gerade nicht mehr bereit ist, hinzunehmen:
1 Kujau.
Die Bereitschaft, sich etwas vormachen zu lassen, scheint ein Grundzug im Menschen zu sein. Dahinter steht unsere Sehnsucht nach einer Wahrheit, die nicht von Vernunft und Verstand erreicht und kontrolliert wird, z.B. der Wunsch nach dem Frieden Gottes, der 'häher ist als alle Vernunft'.
Die Sorge um den rechten Text
Jakob Grimm
Im 19. Jahrhundert entwickelt sich die historisch-kritische Philologie. Im Geiste der Romantik geht es um historische Wahrheitssuche und sorgfAltige Treue als eine menschliche und gesellschaftliche Aufgabe.
Als begeisterter, kritischer Philologe erforscht Jakob Grimm historische Texte
und Quellen, bevor er sie in Reinschrift bringt.
In gleichem Sinne fordert Leopold Ranke11 ein 'kritisches Studium der echten
Quellen', um zur vollen Wahrheit zu gelangen.
Durch diese neue Methode erwacht das Bewu§tsein, nach dem DAmmerschlaf endlich
Inventur zu halten Über die gesamte kulturelle †berlieferung.
Vom antiken Dichterwort zum christlichen Gotteswort:
†ber den Wandel des Wortwertes
Schon im 3. vorchristlichen Jahrhundert waren griechische Gelehrte der
†berzeugung, da§ es von Wert sei, das geistige Erbe der Alten zu bewahren. Diese antike Philologie ist die Wurzel fÜr einen wissenschaftlichen Grundbegriff der Humanisten: das Bild von der 'reinen Quelle' im Kontrast zu den getrÜbten abgeleiteten GewAssern.
Bei dem Versuch, den Bibeltext neu zu erforschen oder neu zu Übersetzen, kännen
sich Kritiker und †bersetzer allerdings nicht allein grammatischen Problemen zuwenden. Dazu bedarf es eines häheren Sinnes, eines 'sensus spiritualis', der Über die reine Buchstabendeutung hinausgeht, weil der Text die gättliche Inspiration erfassen mu§.
Nach antiker, philologischer Ansicht leitet sich z.B. das Wort 'mors', der Tod, vom Todesgott Mars und dem lat. Wort 'amarus', bitter, ab.
Dagegen sieht die biblische Auffassung den Zusammenhang von 'mors' mit 'morsus',
dem sÜndigen Bi§ in den Apfel.
Da die Bibel das am meisten abgeschriebene Buch der Welt ist, war es eine gro§e Herausforderung fÜr den Philologen Hieronymus aus hunderten von verschiedenen Versionen und Handschriften, eine einheitliche lateinische †bersetzung des AT und des NT herzustellen. Eine solche Aufgabe erfordert mehr als nur nur
philologischen und textkritischen Verstand. Fest verankerte Wendungen und Texttraditionen mÜssen so Übertragen werden, da§ der neue Text akzeptiert wird, keine Proteste hervorruft und trotz des eingeschrAnkten Spielraums noch aussagekrAftig erscheint.
Der Bi§ in den Apfel fÜhrte -nach Hieronymus-nicht unmittelbar zum Tod, sondern bedeutete die Sterblichkeit des Menschen nach dem SÜndenfall.
Hieronymus` BibelÜbertragung hat sich durchgesetzt und wurde zum offiziellen
Bibeltext der abendlAndischen Kirche.
Die Sorge gegenÜber heilsnotwendigen Texten
In vielen Bereichen kann man im 8. Jahrhundert den Drang wahrnehmen, ordnende Ma§stAbe einzurichten: im Reichsaufbau, in der Kirchenorganisation, im Rechtswesen etc.
Die damalig ganz und gar christlich durchgeformte Gesellschaft macht sich
nachweisbar immer wieder Sorgen um den richtigen Wortlaut der Heiligen Schrift. Ebenso ist Karl der Gro§e (768-814) um die unverfAlschte Fassung des Bibeltextes besorgt. Mit einer von ihm vorangetriebenen Erneuerungsbewegung, der 'Karolingischen Renaissance', soll ein Ma§stab fÜr Recht und Ordnung hergestellt werden. Genauso lautet auch das Leitwort dieser Zeit: 'norma rectitudinis', die rechte Ordnung.
Neue †berprÜfungen des Vulgata-Textes12durch z.B. Abt Alkuin von Tours reflektieren die brave Ordentlichkeit dieser Zeit. Im 12. Jh. wird weitere selbstbewu§te Kritik am AT ausgeÜbt, als Abt von Citeaux Stephan Harding sogar sprachkundige Juden zur Hilfe ruft, um Verse auf grobe Unstimmigkeiten abzuklopfen.
Im 13. Jh. erlebt die Bibelkritik in Paris einen Hähepunkt, als ein grundlegendes Verfahren im Umgang mit dem Vulgata-Text festgelegt wird.
Die Sorglosigkeit gegenÜber der †berlieferung
Die Karolingische Bewegung zeigt uns, da§ im MA nicht immer kritiklos vorgegangen wird. In humanistischer Sicht jedoch, gibt es viele Bereiche, in denen LeichtglAubigkeit und Kritiklosigkeit die Regel darstellen. In historische Berichte werden Legenden einbezogen und dadurch verunstaltet.
Auf der Suche nach GrÜnden, scheinen mangelnde literarische Bildung, wie
technische Unvollkommenheiten unÜbersehbar. Die ma MentalitAt beweist dazu eine andere Begegnung mit dem Text. Anstatt fremde Intentionen zu respektieren, halten es ma Schreiber oft fÜr angebracht, eigene Meinungen und Ideologien
einflie§en zu lassen. 'wenn vor kaum einem Text halt gemacht wurde, offenbart
sich ein Geist, der weit entfernt ist von Respekt vor fremden Aussagen und vor dem Wortlaut von Vorschriften'.
Autoren zitieren willkÜrlich verstorbene KirchenvAter, wobei meist nur 10% davon
wirklich so gesagt worden war. Textkritik und Wahrung fremden Geistesgutes bleiben hier au§en vor.
Nur bei BÜchern, die Lebensformen zustande bringen und erhalten kännen,wie z.B. die Bibel, kehrt der ma Schriftgelehrte 'ad fontes', zurÜch zu den Quellen, und will Wahrheit nachweisen.
'ZurÜck zu den Quellen': Vom Humanismus zur kritischen Philologie
Humanisten verwenden im 15. Jh. antike Literatur, um zueinem neuen Sprachempfinden zu gelangen. Mit diesen neu erworbenen FAhigkeiten werden wiederum die christlichen Texte ÜberprÜft.
Einer dieser kritischen Humanisten ist Lorenzo Valla, der den Betrug der Konstantinischen Schenkung aufdeckt und Verbesserungen im NT vornimmt. Er korrigiert sogar die †bersetzung des Hieronymus, die in rechtlichen, wie kirchlichen Bereichen approbiert und viel zitiert ist.
Die 'bonae literae', eine Philologie, die Text und Seele heilt, wird von Erasmus
von Rotterdam verteidigt, mit dem Ziel, einen reinen Text herzustellen. Die Humanisten Üben philologische Kritik aus, um den Schriften ihre
unverfAlschte Gestalt zurÜckzugeben. Dahinter steht kein Selbstzweck. Ihnen geht
es darum, einen 'Dienst an der Seele' zu vollbringen, indem sie durch die gereinigten Schriften eine 'sittliche Bereicherung' erzielen. Dagegen legen kritische Philologen des 19. Jh. Wert auf den 'Dienst an der Sache', indem sie eine 'wertneutrale, Überlieferungs- und verstAndnisgerechte Bearbeitung der Schriften' in den Vordergrund stellen. Diese Methode nennt Mommsen13die 'keine LÜcke der †berlieferungÜbertÜnchendeWahrheitsforschung.'
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