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Seit der diplomatischen Niederlage in der Annexionskrise war es das Hauptziel der russischen Außenpolitik, auf dem Balkan das österreichische Expansionsstreben einzudämmen; zeitweise wurde dabei sogar eine Einbeziehung der Türkei in eine Balkanallianz in Erwägung gezogen. Erst in zweiter Linie richtete sich Russlands Politik gegen den Nationalismus der Jungtürken. Deshalb hatte die russische Regierung wohl die Balkanstaaten zum Interessenausgleich bewogen
Bereits von April 1909 an wurde des öfteren der bulgarischen Regierung von Serbien ein gemeinsames Bündnis vorgeschlagen. Anfang des Jahres 1912 überzeugten die russischen Minister in Serbien und Bulgarien, Hartwig und Nekhlyudov, die beiden Staaten von der Notwendigkeit einer gemeinsamen Allianz. In einem Abkommen vom 13. März 1912 erklärten Serbien und Bulgarien, zur Verteidigung ihrer Unabhängigkeit und Integrität zusammenzuarbeiten. Gleichzeitig wollten sie jeglichen Versuch einer Großmacht, in die Balkanterritorien des Osmanischen Reiches einzudringen, zusammen abwehren. Ein geheimes Beiblatt des Vertrages sah vor, dass im Falle eines gemeinsamen Sieges der beiden Staaten über die Türkei Serbien ein Teil von Nordmakedonien zugeteilt werde und Bulgarien einen Großteil des Restes der Provinz Makedonien erhalte. Der Besitz einer "zone contestée" (strittige Zone) sollte durch Nikolaus II. von Russland entschieden werden. Dies war allerdings nur ein Mittel, Serbien mehr Land zu geben als den Anteil, worauf es ein Anrecht hatte und gleichzeitig Bulgariens Gesicht zu wahren. Es war für die beteiligten Staaten bereits klar, dass der Schiedsspruch des Zaren zugunsten Serbiens ausfallen würde. Makedonien war insofern von Bedeutung, als von dort die wichtige Verbindungsstraße am Vardar entlang kontrolliert werden konnte. Es ermöglichte auch über den Hafen von Saloniki Kontakt mit den Handelszentren der Agäis und des Mittelmeers.
Die Allianz war allerdings bereits von Beginn an geschwächt, da die Staaten unterschiedliche Absichten zu dem Bündnis bewogen: Für die Serben war der Vertrag ein Bollwerk gegen Österreich - Ungarn genauso wie gegen die Türken; obendrein hofften sie auf Gebietszuwachs sowohl in Makedonien als auch an der Adriaküste, wobei das Chaos, das in Albanien herrschte, ihnen große Chancen einzuräumen schien. Für die Bulgaren war der Vertrag jedoch einzig und allein gegen die Türken gerichtet. (Schon König Ferdinand hatte von einem triumphalen Einzug in Konstantinopel geträumt.) Außerdem wurde die gegenseitige Übereinkunft die Gebietsverteilung Makedoniens betreffend nur unter größten Schwierigkeiten erreicht. Für Russland, dessen Vertreter bei den Verhandlungen eine entscheidende Rolle gespielt hatten, war die wichtigste Funktion die Blockade jeglichen weiteren Einflusses von Österreich - Ungarn auf den Balkan. Deshalb war Russland gegen eine weitere territoriale Schwächung des Osmanischen Reiches.
Das Übereinkommen von Serbien und Bulgarien war der Grundstock einer Balkankoalition . "Schon am 29. Mai 1912 schloss sich ein bulgarisch - griechischer Vertrag an. Der Beitritt Montenegros im September/Oktober 1912 bedeutete nicht nur den Schlussstein am Gebäude des Balkanbundes, er kehrte auch die antitürkische Blickrichtung offen hervor." Aggressor war ausgerechnet der schwächste der Balkanstaaten: Montenegro. Die Unterstützung des Aufstandes in Nordalbanien hatte den montenegrischen König Nikola schon im Verlauf des Jahres 1912 in einen Konflikt mit der türkischen Macht gebracht. Am 6. Oktober brach er die diplomatischen Beziehungen ab und erklärte der Pforte zwei Tage später den Krieg . Ein Anlass für diesen Waffengang auf dem Balkan war leicht zu finden, da dieser dauernd durch Guerillakrieg, Anschläge und Überfälle heimgesucht wurde . So überreichte der montenegrische Geschäftsführer Plamenac am Vormittag des 8. Oktober 1912 folgende Note an die Pforte:
"Da die Türkei die Wünsche Montenegros nicht erfüllen und die strittigen Fragen nicht ordnen wollte, sieht sich Montenegro gezwungen, mit den Waffen Gerechtigkeit zu schaffen."
Ein weiterer Kriegsgrund für Montenegro war der Versuch König Nikolas', das Prestige seiner Dynastie zu vergrößern und als natürlicher Führer der südslawischen Bevölkerung Serbien zu ersetzen. Er hoffte auch, durch einen schnellen Sieg über die Türkei die Großmächte vor vollendete Tatsachen zu stellen und dadurch ihre schwachen Versuche, den Balkankrieg abzuwenden, zunichte zu machen. Noch am selben Tag, als die Kämpfe begannen, warnten Russland und Österreich gemeinsam die Balkanstaaten vor einer Verletzung des status quo. Die erste Folge dieser Erklärung war für Montenegro die Beendigung der finanziellen und militärischen Hilfe, die es seit einigen Jahren von Russland bekommen hatte. Innerhalb weniger Tage (18. Oktober 1912) zogen, entgegen der Anweisung der Großmächte, die verbündeten Serben, Bulgaren und Griechen nach. In Serbien und Bulgarien war das öffentliche Verlangen nach einem Krieg gegen die Türken so stark, dass ein Kriegseintritt nur unter der Gefahr einer Revolution zu verhindern war
Die Hauptkriegsschauplätze befanden sich im Oktober 1912 in Albanien, im Kosovo, in Makedonien und Thrakien. Die angegriffenen türkischen Armeen, auf deren Seite noch die Arnauten sowie christliche Albanerstämme kämpften, waren zahlenmäßig stark unterlegen. "The Balkan forces numbered about 700 000, against 320 000 for their adversary" . Bei Kumanovo errangen die Serben unter Kronprinz Alexander einen schwer erkämpften Sieg und besetzen daraufhin Üsküb, das wieder in Skopje umbenannt wurde. Die türkische Herrschaft im Westbalkan war damit beendet. Die üblichen Greueltaten an der Zivilbevölkerung durch ein geschlagenes Heer auf dem Rückzug schoben sich die Türken und Arnauten gegenseitig zu. In Thrakien und Makedonien rächte sich die einheimische orthodoxe Bevölkerung an den Türken. In Panik zogen sich daraufhin zehntausende Muslime in Richtung Istanbul zurück und kamen dabei dem bulgarischen Vormarsch in die Quere. Die Griechen stießen vom Süden her über die Pässe von Sarantaporos vor und sicherten sich Saloniki . Anfang November war der Zusammenbruch der Türkei unabwendbar geworden. Das durch den italienisch - türkischen Krieg sowie die innenpolitischen Krisen geschwächte Osmanische Reich erkannte, dass es seine Machstellung kaum halten konnte und bemühte sich deshalb schon im November um Waffenstillstands- und Friedensverhandlungen. Sie begannen am 3. Dezember 1912, wurden aber im Januar 1913 ergebnislos abgebrochen, was die Fortsetzung des Krieges am 30. Januar 1913 zur Folge hatte . In Thrakien, auf dem Westbalkan und bei Saloniki hatten die Türken unter dem Verlust von zehntausenden Toten und Gefangenen ihr Territorium bis auf die Festungen Janina im Epirus, Skutari an der albanischen Küste, Adrianopel und die Dardanellenforts verloren . Das bulgarische Heer wurde an der Çatalça - Linie, 35 Kilometer vor Istanbul, erfolgreich aufgehalten. Bis April 1913 fielen nichtsdestoweniger Adrianopel, Janina und Skutari. Das Kriegsziel war dadurch erreicht, die Türken wurden erfolgreich aus Europa verdrängt . Die Pforte konnte schließlich am 19. April 1913 ein Waffenstillstandsabkommen mit der Balkanallianz erwirken. Eine weitere Konferenz fand am 20. Mai in London statt, in der die europäischen Großmächte als Vermittler auftraten. Der Friede von London wurde am 30. Mai unterzeichnet und beschränkte die europäischen Besitzungen der Türkei auf einen kleinen Landstreifen vor Konstantinopel
Vor den Augen der überraschten Europäer hatte die Großmacht Türkei in kürzester Zeit den europäischen Teil ihrer Besitzungen fast vollständig verloren. Dies bedeutete auch den Zusammenbruch der Militärmacht Türkei, die bis dahin von allen Fachleuten in ihren strategischen Überlegungen als wichtiger Faktor mit einbezogen worden war. Das durch den Wegfall der Türkei entstandene Machtvakuum in Südosteuropa hatte Auswirkungen auf alle Großmächte . Deren Ziel war nun, das politische Gleichgewicht wiederherzustellen und den europäischen Frieden durch die Beilegung von Konflikten zu sichern. Konflikte entstanden vor allem durch die Rivalitäten um den größeren Einfluss in Südeuropa zwischen den beiden Hauptgegnern Russland und Österreich - Ungarn
Wien befürchtete in erster Linie; dass mit der Vergrößerung Serbiens Russland auf dem Balkan eine stärkere Position einnehmen könnte. Die Lösung, die deshalb das Habsburger Reich bevorzugt hätte, war die komplette Rückkehr zu den Vorkriegsverhältnissen. Da dies nicht erreichbar war, wollte Wien unter allen Umständen verhindern, dass Serbien einen Korridor zum Mittelmeer und infolgedessen einen Hafen an der Adriaküste bekommt. Dabei war es Österreich - Ungarn gleichgültig, welche Gebietsforderungen Serbien dann als territorialen Ausgleich für den nicht erhaltenen Adriahafen in Makedonien gewinnen sollte. Falls Serbien diesen Hafen bekommen hätte, wäre es noch unabhängiger von Österreich - Ungarn gewesen. Der Hafen hätte sogar von Russland als Basis benutzt werden können, um die Adria für österreichische Schiffe unbefahrbar zu machen. Auf der Suche nach Möglichkeiten, um Serbien von der Adria abzuschotten, schien es am effektivsten und sichersten, einen möglichst großen, unabhängigen albanischen Staat zu schaffen
Italien war der Krieg willkommen, da die Türkei nun gezwungen war, Libyen aufzugeben. Des weiteren stimmte Rom mit Österreich - Ungarn überein, dass Serbien keinen Adriakorridor erhalten solle. Rom spekulierte dort nämlich auf Albanien als zusätzliches Kolonialgebiet
Deutschlands Südosteuropapolitik sah während des Balkankriegs kein aktives Eingreifen in die Kämpfe vor, ansonsten strebte man die Beibehaltung des damaligen Zustandes an: Schon allein wegen der wirtschaftlichen Interessen des Reichs sollte Österreich - Ungarns Vormachtstellung auf dem Balkan sowie der Bestand der asiatischen Türkei nicht gefährdet werden
Die großen Verluste, die die Türkei hinnehmen musste, waren in St. Petersburg genauso unerwünscht wie in Österreich. Alarmiert durch das schnelle Vorstoßen der Bulgaren, erwog man teilweise sogar den Einsatz eines russischen Schwarzmeer - Geschwaders auf türkischer Seite, um eine bulgarische Eroberung Konstantinopels und ein Überschreiten der Çatalça - Linie zu verhindern. Der Zar zeigte sich auch nicht bereit, den Bitten Ferdinands von Bulgarien nachzugeben, ihm einen Durchlass zum Marmarameer oder die Inbesitznahme der Inseln Samothraki und Thasos zu gewähren.
Großbritanniens Ziel war, zum einen die Schaffung eines unabhängigen albanischen Staates durchzusetzen zum anderen auf jeden Fall eine Störung der Handelsschifffahrt an den Dardanellen zu vermeiden.
Frankreichs Präsident Poincaré stellte in seinem Brief vom 16. November an Izvolskii klar, dass er die Initiative auf dem Balkan Russland überlasse.
Die Gesandten der Großmächte und der Balkanstaaten trafen sich vom 20. bis zum 30. Mai in London, um über einen Waffenstillstand und einen gemeinsamen Friedensvertrag zu verhandeln. Die Großmächte hofften, durch ihre Beteiligung an den Verhandlungen, die Lage wieder unter ihre Kontrolle zu bringen. Sie einigten sich jedoch nur darauf, dass die Dardanellen und Konstantinopel weiterhin türkisch bleiben müssten . Des weiteren vereinbarten die Großmächte, dass ein unabhängiger albanischer Staat mit der Hauptstadt Durrës (Durazzo) geschaffen werden solle. Allerdings war man sich über dessen Grenzen völlig im Unklaren. Montenegro forderte Skodra (Shkodër, Skutari), Griechenland beanspruchte den ganzen Südteil mit Korça und die Serben wollten den gesamten Kosovo mit Durrës als Hafen. Schließlich setzte sich im Friedensvertrag 1913 nur Serbien, mit Russland im Hintergrund, durch: Es bekam den gesamten Kosovo zugesprochen, der allerdings überwiegend albanisch besiedelt war. Durch diesen rein diplomatischen Entschluss wurde eine gefährliche Brandregion auf dem Balkan geschaffen. Für den jungen Staat Albanien bedeutete dies zudem eine starke wirtschaftliche Einschränkung. Der Kosovo - Konflikt wurde dadurch 1913 für die Zukunft vorprogrammiert. Griechenland wurde mit der Çameria, einem zum Teil albanisch besiedelten Küstenstreifen im Nordepirus, kompensiert. Montenegro erhielt Pec (Ipek), einen alten serbischen Patriarchensitz. Durch den bewusst hervorgerufenen Streit um Pec wurde die Eintracht der ansonsten sehr gut zusammenarbeitenden Königshäuser in Cetinje und Belgrad empfindlich gestört. Bei der Gebietszuweisung versuchten die Großmächte Reibungsflächen zwischen den kleinen Völkern zu schaffen und sie gegeneinander auszuspielen, um die eigene Vormachtstellung zu erhalten, getreu dem Leitsatz "divide et impera". 1913 wurde also nur ein unvollständiges Albanien geboren, da gut ein Drittel der Albaner außerhalb der festgesetzten Staatsgrenzen blieb. Die Unabhängigkeit Albaniens sollte durch die Großmächte garantiert werden und als oberste Instanz wurde der deutsche Prinz Wilhelm zu Wied gewählt. Dieser sah sich allerdings mit solch chaotischen Zuständen konfrontiert, dass er bereits nach sechs Monaten wieder abreiste
The Habsburg government had already been trying for some years to stimulate national feeling in Albania, notably by subsiding schools and a newspaper there. That the greatest multi-national state in modern history should be driven to act in this way is an illuminating paradox. ( [4] The eastern question 1774-1923, S.294 )
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